In der Luft- und Raumfahrt, im Energiesektor sowie dem Maschinenbau müssen die Produktionsverantwortlichen beim Zerspanen schwer zu bearbeitender Werkstoffe den Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Prozesssicherheit bewältigen. Die Gebr. Heller Maschinenfabrik GmbH gilt als Impulsgeber für Innovationen auf diesem Feld.
Das Nürtinger Unternehmen ist für seine hochwertigen vier- und fünfachsigen Bearbeitungszentren, Fräs-Drehzentren, Maschinen für die Kurbel- und Nockenwellenbearbeitung sowie flexiblen Fertigungssystemen bekannt. Anwender schätzen deren hohe Verfügbarkeit und die Prozesskompetenz, die aus der eigenen Fertigung stammt und durch enge Zusammenarbeit mit Anwendern, Zulieferern und Forschungseinrichtungen stetig verbessert wird.
Werner Kirsten, bei Heller in der Technologieentwicklung für das Thema “Schwer zerspanbare Werkstoffe” zuständig, erklärt: “Es gehört zu unserem Angebot, Zerspanungsprozesse gemeinsam mit Anwendern und Ausrüstern zu optimieren. Für entsprechende praktische Versuche stehen in unserem Technologiezentrum die passenden Maschinen bereit.”
In den meisten Fällen geht es darum, die Produktivität zu erhöhen – ohne Einbußen bei der Prozesssicherheit. “Häufig erreichen wir das mit einer optimierten Schruppbearbeitung, die ein reduziertes Schlichten zur Folge hat”, erklärt Technologe Kirsten. “Unter Beibehaltung der Technologiewerte reduziert eine Halbierung des Schlichtaufmaßes in der Regel die Gesamtbearbeitungszeit auf die Hälfte. Die Voraussetzung sind allerdings prozessstabile, beherrschbare Systeme.”
Werkzeugaufnahme im Fokus
Insofern muss bei der Produktivitätsverbesserung stets die gesamte Prozesskette betrachtet werden. Zwar ist die Werkzeugmaschine die augenfälligste Komponente der Zerspanung, doch tragen die Werkzeuge, die Werkzeugspannung, die KSS-Versorgung und andere Elemente wesentlich zur erfolgreichen Bearbeitung bei. “Letztendlich ist es das schwächste Glied der Prozesskette, das den Erfolg begrenzt”, betont Kirsten. Seiner Meinung nach widmen viele Zerspaner der Werkzeugaufnahme zu wenig Aufmerksamkeit. Dabei kommt ihr gerade bei der Leistungszerspanung höchste Bedeutung zu.
“Das haben viele Versuche in den vergangenen Jahren ergeben”, berichtet Kirsten. “Wir haben festgestellt, dass die Werkzeugaufnahme den Prozess enorm beeinflussen kann. Bei verstärkten Schrumpffuttern etwa liegt – bedingt durch die größere Masse – der Schwingungsknoten näher an der Lagerstelle. So erhalten wir bei gleichem Werkzeug, gleicher Maschine, gleichen Prozessparametern und gleicher Aufspannung einen ruhigeren Prozess mit weniger Vibrationen und besserer Oberflächenqualität.”
Mit der richtigen Werkzeugaufnahme lassen sich selbst mit einfachen Standardwerkzeugen gute Ergebnisse hinsichtlich Produktivität und Oberflächengüte erzeugen. Der Technologe berichtet von Vergleichsversuchen mit einem einfachen vierschneidigen Werkzeug ohne innere Kühlmittelzufuhr.
Als Alternative zu einem Standardschrumpffutter wählte er als Werkzeugaufnahme ein Haimer Power Shrink Chuck mit Cool-Flash-System, das dafür sorgt, dass das Kühlmedium eng am Werkzeug bis zur Spitze geleitet wird. “Im Vergleich zu einer normalen Schrumpfaufnahme und KSS-Zuführung von außen konnten wir deutlich bessere Prozessparameter erreichen.”
Zitat
“Ich halte daher das Haimer Safe-Lock-System für eine anwendungsgerechte, einfach zu handhabende und prozesssichere Ergänzung der Schrumpftechnologie, auf die wir gerne zurückgreifen, insbesondere in Verbindung mit standardisierten Werkzeugen weiterer Hersteller.”
Werner Kirsten, Technologieentwicklung bei Heller
Wichtige Anwendungsstudie
Als besonders nachhaltige Anwendungsstudie führten Verantwortliche aus der Flugzeugbranche gemeinsam mit Vertretern des ISF der TU Dortmund und des IPMT der TU Hamburg-Harburg bei Heller praktische Fräsversuche im Werkstoff Ti-6Al-4V aus. Als Bearbeitungszentrum stand eine vierachsige Heller H 5000 mit Getriebeeinheit und HSK-A 100-Spindel zur Verfügung, die bis zu 2290 Nm Drehmoment abgibt.
Um die Zerspanungspotenziale aufzuzeigen, wurden mit vierschneidigen Werkzeugen vom Durchmesser D = 25 mm Vollnuten in eine Titanplatte gefräst. Die Werkzeuge wurden, wie in der Luft- und Raumfahrt üblich, in verstärkten Schrumpfaufnahmen gespannt. Bei einer axialen Schnitttiefe ap von 0,5 bis 1 x D lief die Zerspanung prozesssicher ab. Da die Spindel nur gering ausgelastet war, wagten die Versuchsteilnehmer, Vollnutschnitte mit ap = 2 x D.
Kirsten berichtet: “Bei dieser Beanspruchung löste sich das Werkzeug während der Bearbeitung aus dem Schrumpffutter, wanderte Richtung Werkstück und erzeugte eine Vollnut bis zu einer Tiefe von 2,5 x D, was einer Tiefe von 62,5 mm entspricht. Danach brach das Werkzeug als Folge der erhöhten Belastung.”
Problemfeststellung
Die Frässpezialisten waren sich einig, dass die Haltekraft des Futters den Prozess begrenzt. Sobald sie wegen axialer Belastung und auftretender prozessbedingter Schwingungen überschritten wird, wandert das Werkzeug drallbedingt aus dem Futter in Richtung Werkstück. Der Schnittdruck wächst, so dass das Werkzeug schließlich bricht und das Werkstück beschädigt wird.
Ursachen und Gegenmaßnahmen wurden intensiv diskutiert. Schließlich reifte bei Kirsten die Überlegung, dass sich das Werkzeug beim Überschreiten der Haltekräfte zwangsgeführt in Richtung Spindel bewegen müsste. So stieß er auf das Haimer-Safe-Lock-System, das zusätzlich zur kraftschlüssigen Verbindung eine Auszugsicherung am Werkzeug kennzeichnet, die den gleichen Drall wie das Werkzeug hat. Wenn sich mit Safe-Lock das Werkzeug lösen würde, würde es von den gewindeartig gedrallten Mitnehmern in die Aufnahme hineingezogen. Und selbst diese Bewegung lässt sich per Anstellen der Längeneinstellschraube unterbinden.
Kirsten nahm Kontakt zu Haimer auf, um das Safe-Lock-System zu testen. Der Heller-Technologieentwickler wiederholte den beschriebenen Versuch – unter leicht veränderten Bedingungen. So wurde in baugleiche Werkzeuge nachträglich eine Haimer Safe-Lock-Nut eingebracht. Weiterhin verkleinerten die Versuchsverantwortlichen die Schnittstelle von HSK 100 auf HSK 63 und benutzten ein 5-Achs-Fräs-BAZ mit Getriebespindel. Um die Bearbeitungssituation noch zu erschweren, spannten sie das Werkstück schräg im Arbeitsraum auf.
Das Ergebnis: Das Werkzeug hielt der Beanspruchung selbst bei erschwerten Bedingungen stand, die Vollnut 2 x D = 50 mm wurde prozesssicher erzeugt. Kirsten kommentiert: “Somit konnten wir indirekt nachweisen, dass Safe-Lock funktioniert und bei HSK-A 100 die Schrumpftechnologie noch große Potenziale hat, insbesondere auf fünfachsigen Bearbeitungszentren mit Getriebespindeln.” In der Folgezeit wurde die Musterbearbeitung in Ti-6Al-4V mehrfach ausgeführt.Der Grenzbereich konnte von 1 x D = 25 mm Vollnutfräsen in der Titanzerspanung durch Safe-Lock um das Doppelte erweitert werden.
Kirstens Fazit: “Für Schruppbearbeitungen eine zuverlässige Absicherung. Das Safe-Lock-System ist eine anwendungsgerechte, einfach zu handhabende und prozesssichere Ergänzung der Schrumpftechnologie.”
Erfolgreich etabliert
Das Safe-Lock-System vereint eine hohe Rundlaufgenauigkeit mit einer Auszugsicherung. Sie konnte sich inzwischen im Aerospace-Bereich und in der Schwer- und Schruppzerspanung erfolgreich als Standard etablieren. Mittlerweile steigen auch immer mehr Anwender der trochoidalen Frässtrategien auf Safe-Lock um.
Beim trochoidalen Fräsen, wo mit Softwareunterstützung die Schnittgeschwindigkeit und Eingriffstiefe des Werkzeugs signifikant erhöht werden, geht die Produktivität deutlich nach oben. Allerdings steigt durch die höhere Zerspanleistung auch die Gefahr des Werkzeugauszugs.
Ein Schrumpffutter mit Safe-Lock verspricht die gleiche Sicherheit wie Weldon und hat darüber hinaus den Vorteil der hochgenauen Spannung. Das wird gerade beim trochoidalen Fräsen spürbar, wo nur ein dünner Span abgetragen wird, dafür aber die Werkzeugschneide oft mit ihrer gesamten Länge im Eingriff ist.
Die guten Wucht- und Rundlaufeigenschaften der Schrumpfspannung in Verbindung mit der Spannsicherheit des Safe-Lock-Systems versprechen optimale Werkzeugstandzeit bei zugleich hohen Zerspanraten.
Kontakt:
Gebr. Heller Maschinenfabrik GmbH, D-72622 Nürtingen, Tel.: 07022/77-0
Haimer GmbH, D-86568 Igenhausen, Tel.: 08257/9988-0