Der Auslöser für das Automatisierungsprojekt war die Neubeschaffung der Elektrodenfräsmaschine SpeedHawk 550 von OPS Ingersoll. Die beiden Senkerodiermaschinen waren bereits mit einer Roboterzelle automatisiert. „So lag es nahe, dass wir zunächst daran dachten, die neue Fräsmaschine mit den Erodieranlagen zu verknüpfen“, erklärt Stefan Trüssel, Leiter Werkzeugbau beim Medizintechnikunternehmen Ypsomed im schweizerischen Burgdorf. Ein Ziel im Werkzeugbau bei Ypsomed ist, technisch auf dem aktuellen Stand zu sein und eine hohe Durchgängigkeit der Systeme zu erreichen. Die Werkzeuge werden meist für Komponenten sogenannter Pen-Systeme zur Verabreichung flüssiger Medikamente gebaut. Die Palette reicht vom Kleinteil mit 3 mm Durchmesser und sehr komplexer Geometrie bis zu Teilen bis 100 mm Länge und 24 mm Durchmesser. „Dabei haben wir in der Regel Toleranzen von einem Hundertstelmillimeter in der Formgebung, ab und zu muss es aber auch noch genauer sein“, erklärt Trüssel. „Zudem sind bei unseren Werkstücken die Oberflächen sehr wichtig.“ Bei den meisten Werkstücken ist dies die erodierte Oberfläche aus dem Werkzeug, die unter Sicht- und Haptik-Aspekten ideal ist, speziell für transparente Komponenten werden aber auch Einsätze hochglanzpoliert. Für die Werkzeuge wird ein breites Werkstoffspektrum eingesetzt – von konventionellen Stählen mit Härten von 50 oder 52 HRC für Rapid Tools über die klassischen Werkzeugstähle reicht die Bandbreite bis zu korrosionsbeständigen und pulvermetallurgischen Stählen bis 60 HRC.
Meine Meinung
In Automatisierungsprojekten steht in der Regel eine möglichst hohe Auslastung der eingebundenen Maschinen im Mittelpunkt. Das ist zwar sinnvoll, verstellt aber oft den Blick aufs Wesentliche: Die wertvollste und in ihrer Verfügbarkeit sehr stark limitierte Ressource eines Unternehmens sind die hochqualifizierten, motivierten Mitarbeiter. Sie von unproduktiven Routinearbeiten zu entlasten und ihnen die notwendigen Freiräume zurückzugeben für das, was ihre eigentliche Aufgabe ist – das ist der Kern einer erfolgreichen Automatisierung. Richtig angepackt sorgt solch ein Projekt nicht nur für bessere Zahlen, sondern kann auch dafür sorgen, dass die Leistungsträger des Unternehmens mit Begeisterung ihre Aufgaben ausfüllen.
Richard Pergler, Redaktion fertigung
„Fräsen und Erodieren – das zusammen ist für uns der Kernprozess“, erläutert Trüssel. „Bei der Auswahl der neuen Fräsmaschine war eine Maßgabe, dass wir UPC-Paletten von Erowa
verwenden können. Bei den Elektroden ist unser Standard der ITS-50-Halter.“ Weitere Kriterien waren eine Spindel, die bis 42 000 min-1 dreht, sowie die Automatisierbarkeit der Maschine. „In der ersten Runde machten wir uns noch über eine Stand-Alone-Automatisierung Gedanken“, erklärt Trüssel. „Schnell mussten wir jedoch erkennen, dass der deutlichste Engpass auf unserer Wenzel-Messmaschine war – hier wurden Kontur und Geometrie aller Elektroden vom Bediener manuell vermessen.“
Große Linearautomatisierung
So lag es nahe, nicht nur über eine Verkettung von Fräs- und Erodiermaschinen nachzudenken, sondern auch die Messmaschine mit einzubeziehen. „Damit wäre es möglich gewesen, die Maschinen etwa auch nachts unbeaufsichtigt arbeiten zu lassen“, erklärt Trüssel. „Da lag es für uns auf der Hand, weiterzudenken. So war dann der Weg zu einem Linearsystem nicht mehr allzu weit.“ Zwar waren die Kosten bei einer derartigen Automatisierung deutlich höher anzusetzen als bei der Insellösung. Entsprechend skeptisch waren die Verantwortlichen zunächst gegenüber einer „großen“ Lösung. Andererseits: „Je intensiver wir uns damit befassten, desto klarer zeichnete sich bei dieser Variante eine deutliche Entlastung für die Maschinenbediener ab“, betont Trüssel. „In den Fokus rückte immer mehr, die Bediener von unproduktiven Nebentätigkeiten – Handling, Messen, Elektroden waschen – zu entlasten. Wir sahen uns deshalb bei befreundeten Werkzeugbauunternehmen um und wurden beim Werkzeugbau Walter Wolf fündig – hier steht eine umfangreiche Linearautomatisierung aus dem Haus Zimmer & Kreim mit einem Chameleon. Hier konnten wir sehen, was alles möglich ist, und auch genau bestimmen, was für unsere Arbeit sinnvoll ist.“
Profiwissen pur
Alphamoduli
Die modular aufgebaute Software stellt zahlreiche Einzelkomponenten bereit. So sollen sich alle Prozesse zur Verbindung und Darstellung jedes einzelnen Prozessschrittes in der Werkstatt damit abbilden lassen. Jedes einzelne Modul lässt sich jederzeit individuell anpassen und erweitern. So lassen sich Schritt für Schritt die jeweils benötigten Module auswählen, die dann technologie- oder prozessbezogen ergänzt werden können. Der weitere Ausbau ist später jederzeit möglich.
Geringer Platzbedarf der Anlage
Das Team um Stefan Trüssel, das sich aus den Mitarbeitern an den Fräs- und Erodiermaschinen zusammensetzte, hatte sich auch andere Anlagen angesehen – das Chameleon bietet jedoch einige wesentliche Vorteile: „Ein entscheidender Faktor war der geringe Platzbedarf der Anlage – die schlanke Bauweise passt optimal zu unseren Räumlichkeiten“, erläutert Trüssel. „Unter anderem deshalb entschieden wir uns für dieses System. Weitere Kriterien waren die Zukunftssicherheit und die modulare Erweiterbarkeit der Anlage.“
Die Einführung eines Automatisierungssystems ist ein Prozess, der von den Mitarbeitern mitgetragen werden muss. Sehr transparent und offen und unter Einbeziehung aller Betroffenen ging Trüssel das Projekt an. „Wir analysierten
zunächst, welche ,Totzeiten‘ für die Mitarbeiter anfallen“, berichtet er. „Das führte dazu, dass wir an das Chameleon auch eine Waschmaschine für Elektroden und Werkstücke anfügen wollten – auch für diese Tätigkeiten sind unsere gut ausgebildeten und hoch motivierten Mitarbeiter schlicht zu schade. Hier konnte die Transclean von Zimmer & Kreim als erprobte und ausgereifte Anlage auf Anhieb überzeugen – sie reinigt gründlich und kommt im Trocknungsprozess ohne Druckluft aus. Das ist ökologisch sinnvoll und schont das Budget.“ Beim Aufbau der Anlage war die Zusammenarbeit der Monteure von Zimmer & Kreim, OPS Ingersoll und Wenzel untereinander und mit dem Ypsomed-Team laut Trüssel vorbildlich. Die Wünsche und Vorschläge der
Ypsomed-Mitarbeiter wurden optimal berücksichtigt. Und der große Schritt zum Linearsystem zahlt sich aus: Die Mitarbeiter haben mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe und können ihre Kapazitäten auf komplexe Projekte verwenden. Die Programme werden nach wie vor für jede einzelne Maschine geschrieben. Über die Software Alphamoduli von Zimmer & Kreim werden die Programme dann passend zur Bearbeitung aufgerufen. Am Bildschirm lässt sich der Status der Bearbeitungen schnell und übersichtlich ablesen. „Aber auch die LEDs an den Regalen sind nicht nur schmückendes Beiwerk“, versichert Trüssel. „Sie erlauben mit einem Blick eine exakte Erfassung der Lage.“
Klar war auch für Stefan Trüssel eine finanzielle Kalkulation die Basis für die Entscheidung. Aber: „Vieles lässt sich schlicht nicht in Wirtschaftlichkeitsrechnungen abbilden, das weiß auch unsere Geschäftsführung, die uns bei diesem Projekt nachhaltig unterstützt hat“, erklärt er. „Es ist letztlich die Begeisterung, mit der unsere Leute heute an der Anlage arbeiten, die überzeugt.“
Kontakt: Ypsomed AG, www.ypsomed.com
Zimmer & Kreim GmbH & Co. KG, www.zk-system.com
AMB Halle 7, Stand D78
Weitere interessante Videos finden Sie auf dem Youtube-Kanal der fertigung.