Tieflochbohrer von Walter
Das Bohren der Hülsen führte zu besseren Ergebnissen als die Verwendung blankgezogener Rohre

Hüftimplantationen gehören heute zu den Routineeingriffen im OP. Da die Patienten immer älter werden, bekommen es die Chirurgen zunehmend mit bereits geschwächten Knochenstrukturen zu tun. Viele der Patienten leiden an Osteoporose. Eine stabile Knochensubstanz ist aber notwendig, damit die Implantate fest verankert werden können. Reicht die Stabilität nicht aus, gibt es die Möglichkeit, den Knochen mit einem speziellen Zement auf PMMA-Basis zu stabilisieren. Der Zement wird mit Hilfe einer Kanüle und einer speziellen Knochenzementspritze zugeführt. Möller Medical in Fulda, unter anderem Spezialist für humanmedizinische Kanülen, produziert solche Instrumente im Kundenauftrag. Die Spritzen müssen sich exakt einstellen lassen, damit die richtige Menge Zement an die vorgesehene Stelle gelangt. Der Chirurg variiert dafür die Kanülenlänge, die sich an der Skala einer Gewindehülse mit zweigängigem Rundgewinde ablesen lässt. Diese Hülse ist damit eines der wichtigsten Bauteile der Spritze. Als Werkstoff kommt der austenitische nicht rostende Stahl 1.4301 (X5CrNi18-10) zum Einsatz, ein Material, das wegen seiner Beständigkeit gegen organische und anorganische Säuren häufig für chirurgische Instrumente verwendet wird. Der Außendurchmesser der Hülse beträgt 7,8 mm, der Innendurchmesser, durch den später die Kanüle geführt wird, 5,1 mm.

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Drei Fertigungsphasen der Gewindehülse für Knochenzementspritzen: nach dem Bohren
(D= 5,1 mm), nach dem Abstechen und nach dem Beschriften. Möller Medical stellt die 79 mm langen Bauteile aus Edelstahl durch Tieflochbohren mit X-treme-D12-Bohrern der Kompetenzmarke Walter Titex her. Die Wandstärke an der Schlüsselfläche beträgt lediglich 0,45 mm.

Rohrqualität genügt nicht
Möller Medical fertigte die ersten Gewindehülsen aus Rohrmaterial. Doch Rohre werden selten exakt gerade ausgeliefert, mit Maß- oder Formungenauigkeiten ist immer zu rechnen. Die Dreherei des Fuldaer Unternehmens verarbeitet drei Meter langes Ausgangsmaterial für Stangenlader. Auf diese Länge erzeugen schon leichte Krümmungen erhebliche Schläge. Den Maschinenbedienern blieb nichts anderes übrig, als die Drehzahl zu reduzieren. Doch damit nicht genug: „Wir mussten den Innendurchmesser aufwändig mit einer Reibahle nacharbeiten, um Krümmungen auszugleichen“, erklärt Jürgen Legutke, Teamleiter Zerspanung bei Möller Medical. „Zwar sind die Oberflächenanforderungen im Inneren der Gewindehülse nicht sehr hoch, sie wird auf der Kanüle verklebt, doch eine gerade Bohrung ist zwingend erforderlich. Alles in allem entstanden uns sehr lange Stückzeiten und damit auch hohe Herstellungskosten.“

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Die Vollhartmetallbohrer X•treme D12 mit Durchmesser 5,1 mm der Kompetenzmarke Walter Titex ermöglichen Möller Medical die wirtschaftliche Herstellung von Gewindehülsen für Knochenzementspritzen.

Es gab aber noch ein weiteres Problem: Die Lieferzeit für die Edelstahlrohre in den geforderten Abmessungen beträgt bis zu acht Monaten. Das bedeutet entweder zusätzlichen Aufwand für eine außerplanmäßige Lagerhaltung oder gegebenenfalls Engpässe bei der Auslieferung der fertigen Produkte. Ein inakzeptabler Zustand. „Wir haben uns folglich entschlossen, die Hülsen durch Tieflochbohren zu fertigen“, so Legutke weiter, „Vollmaterial ist kurzfristig verfügbar und überdies kostengünstiger.“

Exakte Tieflochbohrung
Die Länge der einbaufertigen Hülsen beträgt 88,5 mm. Die zu bohrenden Rohlinge sind, um sie für das Gewindeschneiden per Spannzange sicher spannen zu können, etwa 107,5 mm lang. „Das Bohren der Hülse ist für uns der derzeit tiefste Bohrprozess“, fügt der Zerspanungsleiter hinzu.

Bei der Suche nach einem geeigneten Werkzeug wurde das Unternehmen bei der Walter AG fündig. Die Wahl fiel auf die X-treme-D12-Vollhartmetallbohrer der Kompetenzmarke Walter Titex. Der Tübinger Werkzeugspezialist liefert diese Bohrer auch in weniger üblichen Durchmessern im Standard, so auch den benötigten Durchmesser 5,1 mm. „Das war uns wichtig“, meint Legutke, „wir wollten auf keinen Fall auf Sonderwerkzeuge angewiesen sein.“

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Von links nach rechts: Wolfgang Taube, technische Beratung und Verkauf, Walter Deutschland GmbH; Jürgen Legutke, Teamleitung Zerspanung, Möller Medical; Christian Kleinsteuber, Schichtleiter-Programmierer,
Möller Medical.

Punktförmiges Anbohren
Die Bearbeitung erfolgt auf einem Simultandrehzentrum TTC 300 von Spinner. Diese mit Haupt- und Gegenspindel sowie zwei Revolvern ausgestattete Maschine erlaubt es, die Hülsen von beiden Seiten zu bearbeiten, so dass sich die Bohrungen in der Mitte treffen. Die dafür erforderliche Genauigkeit ist für die Werkzeuge kein Problem, da zunächst ein Pilotbohrer mit größerem Spitzenwinkel zum Einsatz kommt. Die Pilotbohrung gewährleistet ein punktförmiges Anbohren, eine Voraussetzung für ein präzises Eintauchen des Tieflochbohrers. „Wir empfehlen bei Bohrtiefen ab 12 x D und hohen Genauigkeitsanforderungen zu pilotieren; die Bohrer erhalten dadurch eine optimale Anfangsführung. Eine optimierte Spitzengeometrie und vier Führungsfasen gewährleisten ferner, dass die Werkzeuge nicht verlaufen“, erklärt Wolfgang Taube, technische Beratung und Verkauf bei der Walter Deutschland GmbH. Die Technik des Anbohrens überzeugte den Anwender sofort. „Wir stimmten daher kurzfristig einer Probebohrung zu. Der Prozess funktionierte auf Anhieb“, resümiert der Fertigungsleiter.

Der Bohrvorgang auf eine Tiefe von 12 x D dauert ohne zu Lüften nur 16 s, das Gegenbohren von der anderen Seite nochmals 15 s. Um die innengekühlten Werkzeuge auf der optimalen Betriebstemperatur zu halten und die Späne sicher aus der Bohrung zu spülen, installierte der Anwender in Zusammenarbeit mit dem Maschinenhersteller eine Hochdruckanlage für Schneidöl. Möller Medical setzt für viele Prozesse Schneidöl zur Schmierung und Kühlung ein. Christian Kleinsteuber, als Schichtleiter-Programmierer verantwortlich für Maschine und Prozess: „Schneidöl erzeugt bei Edelstahl bessere Oberflächen als Emulsion. Außerdem schmiert es zahlreiche offene bewegliche Maschinenteile und hat eine längere Lebensdauer, denn das Problem der Keimbildung gibt es nicht.“

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Möller Medical bohrt die Gewindehülsen auf einem Simultandrehzentrum mit zwei Revolvern Typ TTC 300 von Spinner.

500 Bauteile mit einem Bohrer
Dass die Bohrer exakt konzentrisch bohren, zeigt sich daran, dass sich die Hülsen nach dem Bohren und Gewinden wunschgemäß auf ihrer ganzen Länge mit einem Fräser abflachen lassen, und zwar beidseitig. Dadurch entsteht eine Schlüsselweite von 6 mm. Die verbleibende Wandstärke der Hülsen beträgt folglich nur noch 0,45 mm. „Würden die Bohrer verlaufen, würden sich Deformationen auf dieser Fläche abzeichnen; dem ist aber nicht so“, bestätigt Kleinsteuber.

Der Maschinenbediener wechselt die Bohrer nach 500 Bauteilen, das heißt bevor sich ein nennenswerter Verschleiß zeigt. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, wie der Fertigungsverantwortliche betont. Bei Losgrößen von etwa 2000 Stück beziehungsweise einer Jahresstückzahl von 6000 sind demzufolge nur wenige Werkzeugwechsel notwendig. Gebrauchte Bohrer übergibt der Anwender dem Reconditioning Service der Walter AG. Dieser Service der Kompetenzmarke Walter Multiply versetzt die Werkzeuge wieder in den Neuzustand.

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