Welche Möglichkeiten HDT und die FreeTurn-Werkzeuge bieten, demonstrierte Ceratizit mit einem simultan ablaufenden Contest-Video. Auf der einen Seite wurde an einer herkömmlichen Drehmaschine mit mehreren Werkzeugen im Wechsel gedreht, auf der anderen war das High Dynamic Turning auf einem Dreh-Fräszentrum zu sehen, bei dem lediglich nur ein Werkzeug – der FreeTurn von Ceratizit – im Einsatz war. Die Botschaft kam an: Statt mehrere Werkzeuge fürs Schruppen, Schlichten, Konturdrehen, Plan- oder Längsdrehen einzusetzen, benötigt man beim HDT nur noch ein Werkzeug: Das dynamische FreeTurn Tool von Ceratizit.
Doch wie geht das? Diese Frage beantwortete Dirk Martin, Produktmanager Drehen bei Ceratizit, den Messebesuchern direkt am Stand: "Anstatt der statischen Anstellung der Wendeplatte durch den Klemmhalter beim konventionellen Drehen, nutzen wir beim HDT die Frässpindel, um den entsprechenden Winkel zum Werkstück zu erzeugen. Durch die Nutzung des Spindelantriebs in Verbindung mit dem schlanken, axialen Werkzeugaufbau unserer FreeTurn-Werkzeuge profitieren wir von dem 360°-Freiheitsgrad der Achse, ganz ohne Kollisionsgefahr", schildert Martin. "Dadurch lässt sich für beinahe jede Werkstückkontur die optimale Anstellung der stirnseitig an den FreeTurn-Halter angeschraubten Wendeschneidplatte erreichen."
Rotation des Werkzeugs
Doch das sei noch längst nicht alles. "Der Anstellwinkel ist darüber hinaus jederzeit frei variierbar und lässt sich sogar während der Bearbeitung verändern. Dadurch", so der Produktmanager weiter, "kann der Schneidkantenwechsel extrem schnell am Werkstück erfolgen. Somit wird der Bearbeitungsprozess nur minimal unterbrochen." Der variable Wechsel von einer Schneidkante zur nächsten durch eine entsprechende Rotation des Werkzeugs um seine Längs-Achse führt einerseits zu einer völligen Eliminierung aller Werkzeugwechselzeiten und reduziert auf der anderen Seite auch die Werkzeugkosten, da nur noch ein Werkzeug benötigt wird. Je komplexer also eine Werkstück-Kontur ist, für die beim konventionellen Drehen mehrere unterschiedliche Werkzeuge notwendig wären, desto höher sind die Einsparungen durch das High Dynamic Turning. "Zumal wir sogar bis zu 40 Prozent höhere Vorschübe realisieren können", betont Martin und beziffert die Produktivitätssteigerung unterm Strich mit 200 Prozent.
Klar, dass Anwender bei diesen Zahlen hellhörig werden und am liebsten sofort HDT im eigenen Betrieb einsetzen möchten. Wer über ein Fräs-Dreh-Bearbeitungszentrum mit ansteuerbarer Fräs-Achse verfügt, hat dafür schon eine der wichtigsten Voraussetzungen erfüllt. Je nach Maschinenmöglichkeiten kann die Technologie in allen Ebenen funktional eingesetzt werden. Weit verbreitet ist durch Einbezug der Frässpindel an Dreh-Fräszentren die Anstellung über die Y/Z-Ebene. "Dadurch ergeben sich weitere Möglichkeiten, die so bisher unerreichbar schienen", führt Martin aus. "Zum Beispiel ist die Bearbeitung von oben und unten möglich." Eines der künftigen Ziele ist, HDT für Anwender benutzerfreundlich zu machen, denn gerade das Programmieren der Wegbefehle ist momentan noch recht zeitaufwendig und damit für die meisten Fertigungen unpraktikabel. Denn um das dynamische Drehverfahren nutzen zu können, müssen die Wegebefehle natürlich um eine Koordinate ergänzt werden. Die nötigen Vorgaben für die Y/Z-Ebene und Kompensation der Schneidlage können laut Martin zum Beispiel im Programmkopf hinterlegt werden.
"Besser und einfacher wäre es allerdings", so die Vision des Produktmanagers, "wenn das künftig über Postprozessoren oder Unterprogramme eingespielt werden würde." Hier seien nun die Softwarehersteller gefordert, Kunden anwenderfreundliche Lösungen zu bieten, um das Programmieren deutlich zu vereinfachen. Laut Martin dürfe es für den Programmierer keinen Unterschied in der Herangehensweise der Programmierung geben, ob er nun konventionelle oder HDT-Bearbeitungen durchführen möchte. Dies müsse im Hintergrund der Steuerung oder Software geschehen – sowohl für die Werkstattprogrammierung an der Anlage, als auch für CAD/CAM-Systeme. "Auf der AMB haben sich nicht nur Anwender über die neue Drehtechnologie informiert, sondern es waren auch führende Steuerungs- und Werkzeugmaschinen-hersteller bei uns am Stand. Sie haben das Prinzip sofort begriffen und sind von seinen Möglichkeiten begeistert", erklärt Martin und ist zuversichtlich, dass anwenderfreundliche Lösungen gefunden werden können.
Martin lässt keinen Zweifel daran, dass sich das High Dynamic Turning durchsetzen wird, da sich mit der effektiven Nutzung der Frässpindel die Investition in ein Dreh-Fräszentrum viel schneller amortisiert, weil die Maschine so zu 100 Prozent ausgenutzt werden kann. Gleichzeitig wird der Bedarf an statischen Drehwerkzeugen abnehmen und von dynamischen, wie der FreeTurn by Ceratizit, ersetzt.
Der Clou bei diesem Werkzeug ist die zum Patent angemeldete FreeTurn-Wendeschneidplatte, die aus mehreren Schneiden mit unterschiedlichen Eigenschaften bestehen kann. Zum Beispiel könnte die Wendeschneidplatte verschiedene Spitzenwinkeln, Eckenradien oder Spanleitstufen haben – sogar unterschiedliche Beschichtungen und Schneidstoffe seien denkbar.
Zitat
"Anstatt der statischen Anstellung der Wendeplatte durch den Klemmhalter beim konventionellen Drehen, nutzen wir beim HDT die Frässpindel, um den entsprechenden Winkel zum Werkstück zu erzeugen." Dirk Martin
Anpassung an die Bearbeitung
"In der geometrischen Gestaltung der Wendeschneidplatte sind wir vollkommen frei", so Martin. Das Werkzeug kann also auf die Bedürfnisse der Bearbeitung angepasst werden, um die genannten Vorteile – Einsparung an Werkzeugen und Werkzeugwechselzeiten – zu generieren. "Derzeit haben wir FreeTurn-Beispiele für die Bearbeitung von Stahl/rostfrei (2x Schruppen und 1x Schlichten, 3x Schruppen symmetrisch), Aluminium (3 Schneidkanten symmetrisch) in unterschiedlichen Auskraglängen in einer Baugröße." Sowohl Größe, Ausführung, Schneidstoffsorte, Schnittstelle als auch unterschiedliche geometrische Merkmale seien laut Martin aktuell noch völlig offen. "Die Generierung eines WSP-Portfolios hängt maßgeblich von unseren Kundenwünschen und Anforderungen ab. Hier haben wir in alle Richtungen offene Ohren", lässt Martin wissen. nh