Es war eine Hiobsbotschaft, mit der der Wechsel eingeläutet wurde: Der Hauptkunde der klassischen Lohndreherei Zerspanungstechnik Adrian in Bürstadt ließ mitteilen, dass ein ausländischer Wettbewerber das bislang bearbeitete Teilekontingent – typische Drehteile in großen Stückzahlen – um 45 Prozent billiger fertigen würde. Man wäre aber aufgrund der bisher sehr guten Zusammenarbeit bereit, den Auftrag bei Adrian zu belassen. Vorausgesetzt, der Preis sinkt um 48 Prozent. „Da führte überhaupt kein Weg hin – wir waren zwar auf große Losgrößen ausgerichtet, aber unsere Margen waren branchenüblich sehr eng kalkuliert und gaben eine derartige Reduktion bei weitem nicht her“, erklärte Unternehmer Christian Adrian. „Das war das
Aus für unser bisheriges Geschäftsmodell.“
Zum Glück aber nicht für das Unternehmen. Eher per Zufall hatte Adrian für das Hobbyprojekt eines Freundes Prototypenteile gefertigt, die für die Entwicklung sogenannter „Selbstwickelverdampfer“ bestimmt waren – die Highend-Variante der E-Zigarette, wie sie von einer sehr genussorientierten Klientel mit hohen Ansprüchen an die Qualität nachgefragt wurden. Menschen, die edles Design mit einem sehr bewussten – auch gesundheitsbewussten – Konsum verbinden wollen und die sehr individuelle Geräte exakt auf die eigenen Bedürfnisse abstimmen wollen.
Meine Meinung
Mutig in die Zukunft
Die Situation kennen wohl die meisten Lohnfertiger. Ein wichtiger Kunde, der plötzlich Konditionen verlangt, die man vernünftigerweise nicht gewähren kann. Man kann sich dieser Preisschraube trotzdem beugen – oder über kurz oder lang über ein weiteres Standbein nachdenken. Wie auch immer man über E-Zigaretten denken mag – für Zerspanungstechnik Adrian bedeutete die Idee nicht nur die Rettung, sondern einen sehr respektablen Neuanfang. In Deutschland wird der Markt der E-Zigaretten auf rund 800 Mio. Euro geschätzt – da ist Potenzial vorhanden. Neue Ideen entwickeln und umsetzen kann sich lohnen. Zugegeben – es ist nicht in jedem Unternehmen möglich. Aber es ist immer gut, einen Plan B in der Tasche zu haben, wenn Einkäufer mal wieder jedes Maß verlieren.
Richard Pergler, Chefredakteur Fertigung
„Hier tat sich für uns eine Chance auf, die wir in Absprache mit unserem Freund, der sich aus dem Projekt zurückzog, für uns nutzen konnten“, erklärt Adrian. „Wir waren gewohnt, Serien in sechsstelligen Losgrößen zu fertigen – jetzt legten wir eine Serie mit einer Größe von 20 Geräten auf in der Hoffnung, dass sie sich auch verkaufen lassen.“ Die Hoffnung erfüllte sich: Auf einer kleinen Messe waren die 20 Geräte innerhalb von 3 min ausverkauft. Ähnlich schnell weg war die nächste Auflage – 100 Stück. Im März 2013 firmierte Christian Adrian das Unternehmen um, „Steampipes“ ist seither eine feste Größe nicht nur in der Fertigung von Selbstwickelverdampfern, sondern auch als Anlaufstelle für Zubehör, Tools und auch für hochwertige, schadstofffreie Liquide.
Hohe Qualität der Geräte
Der Erfolg hat sich verstetigt: In den vergangenen Jahren hat Steampipes mehr als 9000 Geräte verkauft. Hatte die Lohndreherei noch drei Mitarbeiter, sind für die Selbstwickelverdampfer
inzwischen acht Fachkräfte im Unternehmen aktiv. Das liegt nicht zuletzt an der hohen Qualität der hier gefertigten Geräte, die sich deutlich beispielsweise von fernöstlichen Nachbauten absetzen können. Alle Teile bestehen aus hochwertigen Materialien, wie sie etwa auch in der Lebensmittelindustrie eingesetzt werden, die Palette reicht dabei von Kunststoffen bis hin zu Titan. Dazu kommen Beratung und Service. Allerdings: Die Umstellung war abrupt und eine große Herausforderung für alle. „Schließlich waren unser Maschinenpark, die Werkzeuge, die Prozesse und Abläufe auf hohe Stückzahlen hin optimiert – und insbesondere bei den Maschinen ist ein Wechsel so schnell für unser Unternehmen nicht möglich“, betont Adrian. „Unser Maschinenpark ist nicht der neueste, wir können es uns einfach noch nicht leisten, komplett alles auszuwechseln. Und wenn man weiß, wie man mit den alten Maschinen umgehen muss, kann man eine erstaunlich hohe Qualität erzielen.“
Auf einen Blick
Selbstwickelverdampfer
Kernkomponente des Selbstwickelverdampfers ist ein Verdampferkopf mit einer oder mehreren Heizspiralen, den sogenannten Coils, die von einem Akku mit Energie versorgt wird. Die zu verdampfende Flüssigkeit, das Liquid, wird erhitzt und zu feinem Dampf (Aerosol). Bei Selbstwickelverdampfern erlaubt das Wickeln der Coils, aber auch das Zusammenstellen der Geräte den Benutzern weitreichende Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten. Typische Nutzer sind Highend-Anwender, die ihren Genuss sehr bewusst gestalten wollen und dabei sowohl Qualität als auch Gesundheitsaspekte selbst in der Hand behalten wollen.
In die Karten spielt Adrian dabei, dass der Termindruck bei weitem nicht mehr so extrem ist wie zur Zeit der Lohnfertigung. Ein weiterer Vorteil war für Adrian der gute Kontakt zu seinem Werkzeugpartner Paul Horn in Gestalt von Anwendungstechniker Thomas Massinger. Der half den Praktikern mit Rat und Tat sowie dem richtigen Werkzeug dabei, die Möglichkeiten der betagten Großserienmaschinen für die neuen Anforderungen der kleinen Losgrößen zu nutzen.
So sind inzwischen neben Fräsern der DS-Baureihe insbesondere zahlreiche Drehwerkzeuge im Einsatz, speziell Stechplatten in Norm- und Sondergrößen. Mit Werkzeugen der Supermini-
Baureihe geht Adrian beispielsweise an die Innenbearbeitung der Werkstücke.
Sonderplatte für diesen Einsatz
„Eine besondere Herausforderung war für uns die Lösung für einen Planeinstich – hier ist bei einer Komponente, die das Liquid aufnimmt, unter anderem in einem breiten Einstich links und rechts eine Nut freizustechen. „natürlich versucht man, so weit wie möglich mit Standardwerkzeugen zu kommen. Aber dafür gab es kein fertiges Werkzeug – also konzipierte Horn für uns eine Sonderplatte, die in einem Einstich auf Anhieb genau die Spezifikationen unserer Nut erstellt“, erklärt Adrian.
Für die Sonderplatte hat Horn Rohlinge auf Lager, die bei Bedarf schnell in die exakten geforderten Maße geschliffen werden. Bei Steampipes sind die Platten 3 mm breit. „Die gehen nicht kaputt“, freut sich Adrian. „Und Horn reagiert sehr flexibel und schnell, wenn wir eine Lösung brauchen, gerade im Prototypenbereich.“
Im Profil
Zerspanungstechnik Adrian e.K., Steampipes
Ursprünglich war Zerspanungstechnik Adrian ein klassischer Lohnfertiger mit Kunden aus unterschiedlichen Branchen, unter anderem auch aus dem Nutzfahrzeugsektor. Nicht zuletzt aufgrund des immer größeren Preis- und Termindrucks verabschiedeten sich die Verantwortlichen vor rund drei Jahren von diesem Geschäftsmodell und stiegen in die Produktion von Eigenprodukten ein – unter der neuen Firmierung „Steampipes“ fertigt und vertreibt das Unternehmen heute Selbstwickelverdampfer. Mit Erfolg: So hat sich unter anderem die Belegschaft von ursprünglich drei auf jetzt acht Mitarbeiter vergrößert.
Auch bei der Optimierung seiner Prozesse kann sich Adrian auf seinen Werkzeugpartner verlassen. So setzten die Dreher bislang für die Erstellung eines kleinen Fensters in der Kappe des Verdampfers, das die Luftzufuhr regelt (Air Flow Control), auf einen Zweischneider. Für das Fräsen im Vollen empfahl Massinger nun einen 3-Schneider – damit reduziert sich einerseits die Bearbeitungszeit, andererseits verbessert sich auch der Spänefluss.
„Die Zusammenarbeit funktioniert auf sehr kurzem Weg, wenn es etwas neues gibt, informiert uns unser Ansprechpartner sofort“, betont Adrian. „Für mich ist es immer wieder faszinierend,
wie ein so großes Unternehmen wie Horn sich gerade auch um die Bedürfnisse von so kleinen Unternehmen, wie wir eines sind, kümmert.“
Kontakt:
- Zerspanungstechnik Adrian e.K., Steampipes, www.steampipes.de
- Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH, www.phorn.de
Weitere interessante Videos finden Sie auf dem Youtube-Kanal der fertigung.