Während im Lockdown in Italien viele Unternehmen verzweifelten, nutzte die Traditionsgießerei Industria Metalli die Zwangspause zum Aufbau einer mechanischen Fertigung. Die rohen Gussteile verlassen künftig zur Endbearbeitung nicht mehr das Werk, sondern bekommen den letzten Schliff direkt von zwei Heckert-Bearbeitungszentren.
Bilder spiegeln oft die Seele eines Unternehmens: So auch in Bedizzole, unweit vom Gardasee. Im Konferenzraum von Industria Metalli blickt man auf ein Bild mit dem Titel „Obiettivi“. Es ist das Foto einer Wanderin, die von einem Berggipfel auf einen weit entfernten Gebirgszug schaut. Spannend klingt die Bildunterschrift: „Schaue erst weit und dann blicke noch weiter in die Ferne.“
Während Wanderer den Ausblick genießen, ist Weitblick für Firmen wie Industria Metalli überlebenswichtig, denn ihre Kunden stammen aus der Fahrzeugindustrie, einer der anspruchsvollsten Branchen. Spezialisiert ist das Unternehmen auf Fahrzeugkomponenten – von Stützen und Halterungen bis hin zu Gehäusen aller Art. In hoher Fertigungstiefe entstehen in der Fabrik pro Jahr aus 8.000 Tonnen Sekundäraluminium über fünf Millionen Aluminium-Gussteile für 160 Kunden auf der ganzen Welt. Der Mittelständler aus der Lombardei macht seinen Umsatz zu 40 Prozent mit der Automobilindustrie sowie zu jeweils rund 30 Prozent mit Nutzfahrzeugherstellern und Agrartechnik-Unternehmen.
Produktion erfolgt nach Poka-Yoke-Prinzip
Beim Rundgang auf dem großen Fabrikgelände erklärt uns Fausto Becchetti, Geschäftsführer und Mitinhaber, dass er viel von seiner früheren Arbeit als ABB-Manager von der Fahrzeugbranche und deren prozessorientierter Denkweise gelernt hat: Die in drei Fertigungsinseln gegliederte Fabrik folgt ähnlichen Prinzipien. Verbunden sind alle Fertigungsbereiche digital über ein Manufacturing Execution System, das den gesamten Herstellungsprozess in Echtzeit regelt.
Alle Produktionsschritte geschehen nach dem Poka-Yoke-Prinzip von Toyota, das Fehler aufdeckt und verhindert. Unterstützt wird es von einem fertigungsnahen und lückenlosen Qualitätssicherungssystem, das sich an den strengen Vorgaben der IATF 16949 (International Automotive Task Force) orientiert.
In der Fabrik weist der ehemalige ABB-Manager in der ersten Fertigungsinsel stolz auf einen der vier gasbetriebenen Schmelzöfen hin. „Gleich erreicht das Aluminium die ideale Weiterverarbeitungstemperatur von 700 Grad Celsius, bei der es flüssig wird“, erklärt Becchetti. „Danach folgen Entgasen und Transport.“
Das Manufacturing Execution System hat inzwischen vollautomatisch den Just-in-time-Transport organisiert und über das digitale Netzwerk einen Fahrer bestellt. Direkt in der Nähe steht sein Stapler, auf dem ein Tablet den Fahrer informiert, von welchem Ofen er den Schmelztiegel abholen soll und welche der insgesamt 16 roboterunterstützten Hochdruckguss-Pressen in der zweiten Fertigungsinsel bereits auf das flüssige Aluminium wartet.
Der unmittelbare Qualitätscheck fehlte bisher
Wie die meisten Firmen der Branche setzte das Unternehmen bisher auf Outsourcing: Die Bauteile besitzen nach dem Druckgießen Near-net-shape-Qualität und müssen daher in einem benachbarten Job-Shop den letzten Schliff erhalten. Die Folgen des Outsourcings: Der Logistikaufwand und die Kosten steigen, während die Qualität sinkt. So fallen kleinere Lufteinschlüsse in Gussteilen, sogenannte Lunker, oft nicht beim Röntgen, sondern erst beim abschließenden Zerspanen auf. Das späte Entdecken der Lunker in einem externen Betrieb verzögert und verteuert den Produktionsprozess enorm:
Es fehlt der unmittelbare Qualitätscheck nach dem Hochdruckguss auf der Werkzeugmaschine. Die Folge: Die Prozesskette wird langsamer, das Teil muss erneut eingeschmolzen und neu gegossen werden. Diese Engpässe waren dem ehemaligen Manager ein Dorn im Auge.
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Einstieg in die mechanische Fertigung schafft Abhilfe
Die Wende kam mit dem neuen Projektmanager, einem Spezialisten für Zerspanung aus der Fahrzeugindustrie, der für den Einstieg in die mechanische Fertigung den Kauf einer fünfachsigen Heckert X40 und einer vierachsigen Heckert H40 empfahl.
„Bestellt hatten wir die beiden Bearbeitungszentren im Herbst 2019“, blickt Fausto Becchetti zurück. „Doch trotz des Lockdowns beschlossen wir, den Einstieg in die mechanische Fertigung durchzuführen, denn es ist eine Investition in die Zukunft – obwohl es im Frühjahr keinen Markt für unsere Produkte gab.“
Hier kam von Anfang an Thomas Kässner ins Spiel: Der Salesmanager Heckert spricht fließend Italienisch und half auch bei der Inbetriebnahme in der Lockdown-Zeit, die dank des direkten Kontakts zum Starrag-Werk in Chemnitz nahezu ohne Verzögerung ablief.
Warum die Heckert-Bearbeitungszentren gewählt wurden
Für die beiden Bearbeitungszentren entschied sich das Unternehmen wegen der stabilen Bauweise, des damit verbundenen höheren Spanabtrags, der Dauergenauigkeit und des technologischen Leistungspuffers.
Bewusst steif ausgelegt sind alle Gestellbaugruppen vom Maschinenbett, Ständer, Tisch bis hin zur Dreh-Schwenkeinheit. „Ich freue mich besonders über die hohe durchgängige Maschinensteifigkeit, denn wir schlichten die Druckgussteile mit Diamantwerkzeugen“, lobt Becchetti die Bearbeitungszentren. „Selbst bei 20.000 Umdrehungen pro Minute bricht der Diamant nicht, wenn er auf einen Lunker trifft.“
Minimalmengenschmierung oder Trockenbearbeitung kommt bei der Bearbeitung von Aluminiumbauteilen in der Regel nicht infrage. Die Italiener verwenden eine elektronisch gesteuerte Kühlschmierstoffzufuhr, die unter anderem für die Temperierung von Werkstück und Werkzeug sorgt. „Ohne effektive Nassbearbeitung käme es nicht zu einem optimalen Späneabtransport“, ergänzt Becchetti.
Mit dem Entfernen der Späne steht und fällt aber die saubere und schnelle Bearbeitung, denn Aluspäne bleiben sonst leicht am Diamant kleben und verkratzen oder verletzen das Gussbauteil.
Besonders erfreut ist der Zerspanungs-Experte von der Qualität und der sehr schnellen Bearbeitungszeit. „Obwohl viele Bauteile schwer zugängliche Stellen wie Bohrungen oder Taschen besitzen, sank die Bearbeitungszeit gegenüber der unseres Dienstleisters um mehrere Sekunden pro Spannlage, da wir deutlich höhere Schnittgeschwindigkeiten fahren können“, berichtet Becchetti. „Gleichzeitig erreichen wir Spitzenqualität.“ Mit dem Heckert-Duo wird eine Oberflächenrauheit Ra von 20 Mikrometer erreicht, sodass eine Nachbearbeitung entfällt.
Der Aufwand hat sich gelohnt: Industria Metalli startete mit der Bearbeitung von einfachen Gehäusen für Ölfilter. Das Unternehmen zerspant in seiner neuen Fertigungsinsel bereits jedes zehnte seiner Bauteile.
So soll es in Zukunft weitergehen bei Industria Metalli
„Ich bin optimistisch, dass wir bald weitere Produkte mit den Heckert-Bearbeitungszentren endbearbeiten und dank der mechanischen Fertigung im Haus auch Aufträge für völlig neue Komponenten erhalten“, zeigt sich Becchetti zuversichtlich. „Im nächsten Schritt steht nun die Automatisierung an.“ Doch schon ohne diese Integration kann sich das Ergebnis sehen lassen: Industria Metalli steigerte den Wertschöpfungsanteil an Bauteilen deutlich – sogar mit besserer Marge.
Doch was visiert der Geschäftsführer mit dem strategischen Weitblick langfristig an? „Mit dem Aufbau und der Integration der mechanischen Fertigung in unser Produktionssystem hat sich die Chance zum Aufstieg zum ‚Tier one‘, zum Systemlieferanten, deutlich erhöht“, meint Becchetti. „Wir können nun unsere Produkte im Vergleich zu den vielen Wettbewerbern ohne Inhouse-Machining deutlich wettbewerbsfähiger anbieten. Die beiden Heckert-Bearbeitungszentren sind dabei der erste Meilenstein auf unserem Weg.“
Quelle: Starrag GmbH