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(Bild: Fotolia, vege, fertigung)

Wer für die Medizintechnik fertigt, ist in vielen Fällen im Bereich der Hochpräzision unterwegs. „Unsere gesamte Strategie ist auf Toleranzen unterhalb von einem Hundertstelmillimeter ausgerichtet“, erklärt Christian Stangl, Einrichter und CAM-Programmierer beim Gerresheimer Werkzeugbau Wackersdorf. „Wir konzentrieren uns aufs HSC-Fräsen und Erodieren – die Grobzerspanung haben wir an zuverlässige Partner in unserer Region abgegeben.“ Damit sind die Know-how-intensiven Arbeitsschritte im eigenen Haus angesiedelt, speziell die Gestaltung und das Ausarbeiten der Formeinsätze.

Und dabei ist höchste Genauigkeit gefordert – wenn es beispielsweise um die Mechanik einer Dosiereinheit für einen Inhalator geht, muss sich der Patient darauf verlassen können, dass die

Elektroden beim Gerresheimer Werkzeugbau

Elektroden haben im Gerresheimer Werkzeugbau oft Toleranzen im einstelligen µm-Bereich.

Komponenten hundertprozentig funktionieren. Und das über die gesamte Lebensdauer des Geräts. Das ist nur gewährleistet, wenn alle Komponenten sehr exakt gefertigt sind.

 

Ganzheitliche Betrachtung

Wer Toleranzen im Bereich von 10 µm zuverlässig und prozesssicher einhalten muss, kommt um eine ganzheitliche Betrachtung seiner Fertigungsprozesskette nicht herum. „Das Wichtigste ist, die betroffenen Mitarbeiter entsprechend zu sensibilisieren und entsprechend die Voraussetzungen für die hochpräzisen Fertigungsprozesse zu schaffen“, betont Stangl. „Dabei sind die Mitarbeiter ein nicht zu unterschätzender Faktor – sie müssen die Präzisionsstrategie mit Leben füllen – Tag für Tag.“

Meine Meinung

Vertrauen ist gut, …

… Kontrolle ist besser. Wer einen Fräser mit Durchmesser 0,1 bestellt, übersieht oft das Kleingedruckte im Katalog (da stehen die Toleranzfelder in der Regel drin) und geht guten Glaubens davon aus, dass ein 0,1er-Fräser auch exakt den gewünschten Spezifikationen entspricht. Schließlich sind die Werkzeuge ja auch so im CAM hinterlegt. Weit gefehlt – hier liegt der Teufel sprichwörtlich in den Details. Deshalb ist es gerade im Mikrobereich unerlässlich, genau zu wissen, was man tut. Und dazu gehört auch, exakt über den Zustand seiner Werkzeuge Bescheid zu wissen. Denn nur dann ist höchste Präzision kein Zufall, sondern prozesssicher reproduzierbare Realität.
Richard Pergler, Redaktion fertigung

Selbstverständlich setzt man beim Gerresheimer Werkzeugbau Wackersdorf auf hochgenaue Maschinen, so steht beispielsweise neben mehreren Hermle-Zentren auch eine Kern Pyramid Nano in der Fertigung. Diese Maschine verfügt über hydrostatische Lager, das Öl ist exakt temperiert. Damit ist die Maschine schwingungsgedämpft und in hohem Maß thermisch stabil. Neben den Maschinen sind konsequenterweise auch die Räumlichkeiten der Hochpräzisionsfertigung klimatisiert. „Wir halten die Temperatur zuverlässig in einem Bereich zwischen 22 und 23 °C – vom Erodieren bis zur Endmontage“, erklärt Stangl.

Protokoll Gerresheimer

Geprüfte Qualität: Wer Präzision erzielen will, muss auch in präzise Werkzeuge investieren.

Die Voraussetzungen für höchste Präzision waren also ideal, aber trotzdem gab es in Versuchen Abweichungen oder vorzeitigen Werkzeugbruch. Da Maschine und Umgebungsbedingungen ideal waren und auch die Bediener alles nach aktuellem Stand umsetzten, fokussierten die Zerspanungsspezialisten ihre Aufmerksamkeit auf das kleinste Glied in der Kette – auf das Werkzeug. Und wurden gleich an mehreren Stellen fündig.

 

Geeignete Strategien

Ein Teil der Phänomene liegt an ungeeigneten Strategien und Parametern. „Bei unserem Einstieg ins Mikrofräsen beispielsweise gingen wir sehr vorsichtig zu Werke – wir arbeiteten mit einer relativ geringen Drehzahl, um die neuen Fräswerkzeuge ja nicht zu überlasten“, erinnert sich Stangl. „Aber genau das taten wir damit – der Vorschub pro Zahn wurde für das verwendete Werkzeug schlicht zu gering, die Schneide schnitt nicht mehr, sondern drückte nur das Material weg. Die Abnutzung nahm damit überproportional zu, und wir kamen auf keinen grünen Zweig. Erst als wir die Parameter hochfuhren, lief es – und zwar perfekt.“ Hier ist es durchaus ratsam, sich an die Vorgaben der Hersteller zu halten. „Wir orientieren uns inzwischen unabhängig vom Werkzeugfabrikat meistens an den Werten, die der von Hitachi bereitgestellte Schnittdatenrechner vorgibt“, ergänzt Stangl. „Hier lassen sich je nach bearbeiteter Werkstoffgruppe und Materialhärte sehr praxistaugliche Werte für die Programmierung ermitteln.“ In der Regel kommen in Wackersdorf Mikrofräser von Mitsubishi und Hitachi zum Einsatz. „Wir haben immer wieder auch Versuche mit Werkzeugen anderer Hersteller gefahren“, ergänzt Stangl. „Aber in Sachen Qualität sind diese beiden Hersteller unsere erste Wahl. Und auch die Lieferzeiten passen.“

 

Heikles Thema Vorschub

Speziell bei kleinen Fräserdurchmessern ist eine große Umschlingung für das Werkzeug tödlich: „Speziell bei kleinen Radien nimmt die Maschine bei konstanter Drehzahl den Vorschub zurück, da ja die Genauigkeit gehalten werden soll. Dieser Einbruch beim Vorschub ist letztlich oft die Ursache für Werkzeugbruch – wenn der Span über den kompletten Radius hinweg abgenommen werden soll, hat das Werkzeug keine Chance“, erklärt Stangl. „Abhilfe schafft hier die Bearbeitung mit noch kleineren Werkzeugen, die auch in engen Radien nicht so stark umschlungen werden.“ In diesem Zusammenhang ist speziell bei kleinen Werkzeugen auch wichtig, wie man den Schnitt ins Material ansetzt. „Da gibt es die unterschiedlichsten Möglichkeiten von einem Bogen bis zur Spirale, um einen schönen Span aufzubauen“, erklärt der Zerspanungsexperte. „Erfolgt der Einstich jedoch zu abrupt, ist der Bruch vorprogrammiert.“ Auch in der Vorbearbeitung ist die richtige Vorgehensweise entscheidend. „Mikrofräser verlangen einen gleichmäßigen Materialabtrag“, betont der Werkzeugbauer. „Stufen im Material sind ein Problem für kleine Werkzeuge – wenn da mal beim Schruppen ein paar Hundertstelmillimeter zuviel Material stehenbleiben, kann der Werkzeugbruch schon vorprogrammiert sein.“ Für die Standzeit spielt auch die Fräsbahnlänge eine wichtige Rolle, die sich mit kleinerem Fräserdurchmesser signifikant verlängert: Für eine Fläche, die der 6er-Schruppfräser mit einer Fräsbahnlänge von beispielsweise 13 m bewältigt, ist der 0,5er-Schlichtfräser 28 m unterwegs.

Auf einen Blick

Ganzheitliche Betrachtung

Wer höchste Präzision erreichen will, muss den gesamten Prozess unter die Lupe nehmen. Maschine, Halle, Kühlschmierstoff, aber auch das Werkzeug – jeder dieser und zahlreicher weiterer Einflussfaktoren bestimmt über die erreichbaren Toleranzen. Mindestens genauso wichtig wie die richtigen Umgebungsbedingungen sind indes gut ausgebildete Mitarbeiter: Sie müssen verstehen, worauf es bei der Mikrozerspanung ankommt, und den Blick haben für die einzelnen Stellgrößen und ihre Wechselwirkungen.

 

Optimale Frässtrategie

Immens wichtig ist aus Sicht der Werkzeugbauer die optimale Frässtrategie – homogene Fräsbahnen sind gerade bei kleinen Werkzeugen von Vorteil. „Hier ist es wichtig, dass das Werkstück beim Programmieren in logische, einfach zu

Mikrobearbeitung

Gerade in der Mikrobearbeitung kommt es darauf an, dass alle Rahmenbedingungen stimmen.

bearbeitende Segmente gegliedert wird, die der Fräser dann optimal abarbeiten kann“, erläutert Stangl. „Dazu manipulieren wir durchaus die Geometrie des Werkstücks in der Programmierung – so werden Flächen in Bereiche hinein verlängert, in denen der Fräser in der Luft schneidet, anstelle der echten, möglicherweise in einem scharfen Winkel zurückweichenden Werkstückkontur. Damit erreichen wir jedoch eine sehr werkzeugschonende Bearbeitung. Und wenn beispielsweise bei dem scharfen Winkel die verbleibende Fläche in einem zweiten Arbeitsgang analog ausgeformt wird, entsteht auch eine weit präzisere Kante als bei einer Bearbeitung, in der der Fräser quasi um die Ecke geführt wird. Dieses Vorgehen kommt also sowohl dem Werkzeug als auch der Werkstückqualität zugute.“ Aber selbst bei sonst optimalen Bedingungen kann das Ergebnis aus der Toleranz sein: „Das Werkzeug selbst als Fehlerquelle wird oft unterschätzt“, betont Stangl. „Man sucht zunächst an allen anderen möglichen Faktoren – an der Maschine, der Klimatisierung, dem Kühlschmierstoff. Aber bei Fräser geht man davon aus, dass alles passt. Ein 0,5er ist ein 0,5er. So steht es im Katalog, so hat man das Werkzeug bestellt. Dabei gibt es hier von Fräser zu Fräser oft große Abweichungen.“

 

Abweichungen sind üblich

Das beginnt schon beim Durchmesser – bei Mikrofräsern im Durchmesserbereich um 0,1 mm etwa sind Abweichungen bis zu einem Zehntel des Werkzeugdurchmessers bei den meisten Herstellern durchaus üblich. „Das sehe ich aber nur, wenn ich den Fräser vermesse oder ihn mir unter dem Mikroskop ansehe“, erklärt Stangl. „Hier bieten Hersteller wie Mitsubishi oder Hitachi für einen Aufpreis auch Fräser mit geringeren Toleranzfeldern – und liefern das Messprotokoll gleich mit.“

Hitachi Fraeser

Links: Ein „klassischer“ Fräserquerschnitt ist im Mikro­bereich oft Ursache für Werkzeugbruch …
Mitte: … hier ist genügend Material für die notwendige Stabilität. Und die Zähne sind sehr effektiv.
Rechts: Im Mikrobereich kann sogar die Beschichtung
Ursache für geometrische Abweichungen sein.
Bilder: Gerresheimer Werkzeugbau, fertigung

Solche Hochpräzisionswerkzeuge weisen im Gegensatz zu ihren Pendants aus dem Standardprogramm auch keine weiteren Fehlerquellen wie Formfehler oder einen Grat aufgrund einer ungeeigneten Beschichtung auf: „Wenn der Radius der Fräserkugel nicht richtig ausgeformt ist, wird das Ergebnis am Werkstück auch nicht exakt passen. Wenn ich eine Toleranz am Werkzeug habe, dann habe ich mindestens diese Toleranz auch am Werkstück“, erklärt Stangl. „Und im Gegensatz zu Fehlern aufgrund einer Durchmesserabweichung lassen sich Formfehler auch beim Programmieren nicht einfangen. Wenn ich höchste Präzision erreichen will, muss ich eben auch in hochpräzise Tools investieren. Auch wenn das etwas mehr kostet – das rechnet sich letztlich.“

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