Die Werkzeugmaschinenindustrie unterliegt einem Wandel. Die Märkte ändern sich, der technologische Fortschritt ist enorm, die Ansprüche der Kunden werden immer höher. Die deutschen Werkzeugmaschinenhersteller stehen deshalb vor der Aufgabe, sich an die Veränderungen anzupassen und sie zu nutzen, um als Industrie weiterhin weltweit an der Spitze mitmischen zu können. Seit 1891 setzt sich der Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW) nun schon für die Branche ein. Um sein 125-jähriges Bestehen unter dem Motto “verlässlich – dynamisch – wertvoll” zu feiern, lud der VDW im Juni 400 Gäste aus Industrie, Wissenschaft, Medien und Verbänden nach Frankfurt am Main ein.
“Für die deutschen Werkzeugmaschinenhersteller gilt es, die Veränderungen in den Märkten, bei den Kunden, der Technik und den Produkten zu nutzen, um neue Chancen für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu generieren”, erklärt Heinz-Jürgen Prokop, Vorsitzender des VDW, bei der Jubiläumspressekonferenz.
Da sich die Exportstrukturen der deutschen Werkzeugmaschinen ändern, lautet eine wesentliche Aufgabe der Branche, neue Wachstumsmärkte zu erschließen.
Der Markt in China ist gesättigt. Betrug der Exportwert im ersten Quartal 2015 noch 452 Millionen Euro, ist er verglichen mit 2016 um sieben Prozent auf 419,1 Millionen Euro gesunken. Dabei ist China mit einem Anteil von zeitweise bis zu einem Drittel seit 13 Jahren der größte Exportmarkt für die deutschen Hersteller. Entgegen der Erwartungen bleiben auch in den USA die hohen Investitionen in die Produktionstechnik bisher aus. Russland war über viele Jahre drittstärkster Markt, nun befindet sich das Land auf Platz 11 der wichtigsten Exportmärkte für Deutschland.
Mehr Investitionen und Kooperationen
Stellt sich die Frage, auf welche Länder die Maschinenhersteller ihren Fokus neu ausrichten sollen? Hier ist sich der VDW sicher, da die europäischen Kunden mit hohen Qualitätsanforderungen im Weltmarkt konfrontiert sind und investieren müssen, wird Europa für die deutschen Unternehmen immer wichtiger werden. Großes Marktpotenzial für die Werkzeugmaschinenindustrie liegt außerdem vor allem in der Asean-Region und in Indien. Hier gilt es, die Kunden mit besseren Angeboten zu überzeugen und dem dort führenden Wettbewerber Japan konsequent Marktanteile abzuringen. “Das heißt mehr Engagement, mehr Präsenz, mehr Investitionen und gegebenfalls auch mehr Kooperationen, im Fall, dass ein Mittelständler nicht alles Erforderliche allein stemmen kann”, erklärt der VDW-Vorsitzende.
Vor einem Paradigmenwechsel und Wandel seines Geschäftsmodells mit starken Auswirkungen auf die Produktionsausrüster steht auch die Automobilindustrie, größter Abnehmer von Werkzeugmaschinen.
Treiber sind unter anderem regulatorische Anforderungen aus der Politik und die zunehmende Urbanisierung der Gesellschaft. Zentrale Themen sind der technologische Wandel vom Verbrennungsmotor zu alternativen Antriebsformen sowie das vernetzte und automatisierte Fahren. Neue, branchenfremde Wettbewerber wie Tesla oder Google treten in den Markt. Hinzu kommen neue Services für Kunden, etwa Car-Sharing-Modelle. Digitalisierung und Vernetzung machen es möglich. “Diese Entwicklung müssen wir im Blick behalten”, mahnt Prokop.
Über 125 Jahre haben die deutschen Hersteller ihre Technik immer weiter entwickelt und optimiert und letztlich die Marke Made in Germany geschaffen. Angesichts des hohen technischen Reifgrads der Maschinen besteht jedoch eine weitere Herausforderung in der Ausweitung des Dienstleistungsangebots mit verbessertem Kundennutzen. Prokop ist überzeugt: “Erfolgreich werden wir im Weltmarkt nur bleiben, wenn die Produkte weiterhin technisch führend sind und durch weiterentwickelte und zusätzliche Dienstleistungen ergänzt werden.”
Industrie 4.0 eröffnet dazu auf einmal gigantische Chancen. Prokop erklärt: “Es geht darum, neuen Kundennutzen durch Vernetzung zu generieren. Wie im privaten Leben auch, können sehr viele Tätigkeiten vereinfacht oder sogar automatisiert werden.” Das Denken in Vernetzungslösungen sei für viele Unternehmen jedoch noch neu und benötige einen veränderten Blickwinkel.
Hoch qualifizierte und engagierte Mitarbeiter
Von der vertikalen zur horizontalen Sichtweise, heißt die Devise. Die Maschine darf nicht mehr allein im Fokus stehen. Vielmehr muss sie optimal in die Intralogistik eines Unternehmens eingebettet werden. Daraus entstehen Fragen: Wie kommen zum Beispiel die Werkstücke optimal in die Maschine? Wie geben die Maschinen den Werkstücken eine Identität, und wie reichern sie diese weiter an? Wie werden Werkstücke Aufträgen zugeordnet, verfolgt und jederzeit auffindbar? Antworten darauf führen zu Angeboten und Dienstleistungen, die neuen Kundenutzen schaffen. Auch könnten völlig neue Maschinenkonzepte entstehen, neue Assistenzsysteme oder Lösungen für den Materialfluss und die Teileverfolgung. Und wer könnte dies besser realisieren als die Werkzeugmaschinenhersteller, die mitten im Produktionsprozess zu Hause sind? “Ein großes Feld, das in Teilbereichen noch weitgehend brach liegt und die Kreativität der Hersteller massiv anspornt”, sagt Prokop.
Die wertvollste Ressource für die deutsche Werkzeugmaschinenindustrie sind in allen Fachbereichen gut ausgebildete, hoch qualifizierte und sehr engagierte Mitarbeiter, die ihre Aufgaben beherrschen und mit hoher Motivation daran arbeiten. Die schnellen technischen Veränderungen im Zusammenhang mit Industrie 4.0 verlangen jedoch auch neue Kompetenzen von ihnen. Vor diesem Hintergrund fordert Prokop dringend eine Exzellenzinitiative für die berufliche Bildung. Dazu gehöre die Stärkung des Images der Berufsausbildung und technischer Berufsbilder. Vor allem gelte es jedoch, eine ausreichende Finanzierung der Berufsschulen für Ausstattung und Weiterbildung zu sichern, damit junge Menschen auf dem neuesten Stand der Technik ausgebildet werden können.
Der Branche selbst schreibt Prokop ins Stammbuch, dass es gelingen müsse, die sogenannten Digital Natives für die Werkzeugmaschinenindustrie zu begeistern, um die Potenziale der Vernetzung auch wirklich heben zu können. “Ganz ehrlich: Trotz Hightech in der Werkzeugmaschine, leistungsfähigen Steuerungen, Automatisierungslösungen, Einsatz von künstlicher Intelligenz und vieles mehr wird unsere Branche in der IT-Welt als konservativ angesehen. Das muss sich ändern”, fordert er. Ein erster Schritt sei das Projekt “Fachkraft für digitale Fertigungsprozesse” der VDW-Nachwuchsstiftung.
Zusammenfassend resümiert Prokop: “Die Zukunft bleibt spannend. Die geschilderten Entwicklungen haben allesamt große Auswirkungen auf die Werkzeugmaschinenindustrie, führen gar zu Umwälzungen. Jedoch hat die Branche auch in der Vergangenheit immer wieder Veränderungen bewältigt. Immer konnte sie sehr gut mithalten, Entwicklungen aus anderen Bereichen für sich adaptieren und sich selbst neu erfinden. Das zeigen 125 Jahre VDW. Daher sind wir auch für die Zukunft optimistisch.”
Melanie Fritsch