Die Insel im West-Pazifik vor dem chinesischen Festland ist mit einer Fläche von 35.801 km2 gerade so groß wie Baden-Württemberg. Unabhängig davon ist der Inselstaat stark in den internationalen Handel integriert. Mit ihren Entwicklungen stoßen die Asiaten immer mehr in den High-End-Bereich vor. Bisher leiden die Taiwaner zwar einerseits unter dem Image, ein Billighersteller zu sein, andererseits sehen sie darin aber auch ihren Wettbewerbsvorteil.
Auf einer exklusiven Reise Anfang Mai von Taipeh ins industrielle Zentrum Taiwans, Taichung, öffneten neun ausgewählte taiwanische Unternehmen ihre Werkstore. Organisiert wurde die Tour von Taiwans Handelsförderungsorganisation Taitra (Taiwan External Trade Development Council).
Meine Meinung
Wichtiger Handelspartner
Wie die Zahlen des letzten Jahres zeigen, ist Deutschland Taiwans zehntwichtigstes Exportland und fünftgrößtes Einfuhrland. Dass Taiwans Werkzeugmaschinenindustrie zu den Top-Lieferanten der Welt zählt, verdankt der Inselstaat nicht zuletzt seiner eng vernetzten Zulieferkette. Nach Angaben der Maschinenhersteller kommt der Großteil der Zulieferteile aus Taiwan selbst. Aufgrund der räumlichen Nähe kann so günstig und schnell auf Anfragen reagiert werden. Den Betrieben ist die in Europa verbreitete Ellenbogen-Mentalität fremd, man setzt vielmehr auf umfangreiche Kooperation. Auch wenn europäische Hersteller noch einen Wissensvorsprung für sich reklamieren – sollte die Stärke der asiatischen Handelspartner nicht unterschätzt werden.
Melanie Fritsch
In Taichung machte der 1991 gegründete Werkzeugmaschinenhersteller Quaser den Auftakt.
Gefertigt werden unter anderem vertikale und horizontale Bearbeitungszentren, Maschinen für den Werkzeug- und Formenbau sowie 5-Achs-Bearbeitungszentren. Für Quaser war die 2009 erschaffene schweizerische Niederlassung ein bedeutender Schritt, da das Unternehmen über 70 Prozent seiner Maschinen nach Europa verkauft. Seitdem profitieren europäische Kunden von kürzeren Maschinenlieferzeiten, schnellerem Service bei technischen Problemen vor Ort sowie spezifischen Schulungen. Neben weiterem Wachstum im chinesischen Markt sieht der WZM-Hersteller Potenzial im Aerospace-Bereich.
Hohe Fertigungstiefe
Mit 46.000 Maschinen in mehr als 65 Ländern gilt Hartford als Taiwans größter Werkzeugmaschinenhersteller.
Mehr als 500 Mitarbeiter sorgen für eine Wertschöpfung 100 Prozent “Made in Taiwan”. Der Maschinenhersteller spricht von einer Fertigungstiefe von mehr als 90 Prozent. 2015 wurde auf der EMO Mailand erstmals die eigene Steuerung Hartrol Plus präsentiert, in der zehn Jahre Entwicklungsarbeit stecken. Zu Hartfords Kernbranchen zählen neben Aerospace und Automotive insbesondere die Medizin- und Energieindustrie.
Maschinenhersteller Litz im District Tachia in Taichung hat seine Wurzeln im Jahr 1987. Die insgesamt 450 Mitarbeiter fertigen vertikale CNC-Maschinen, 5-Achs-Präzisionsmaschinen, CNC-Drehbearbeitungszentren sowie horizontale CNC-Fräsmaschinen. Litz sieht Marktchancen in Europa und Südostasien. Da China, wie Director of Oversea Sales Department Chris Wu berichtet, neun Prozent Importsteuern erhebt, war es wirtschaftlich sinnvoll, neben dem Werk in Taiwan auch eines in China zu errichten.
Große Traditionen unter einem Dach
Im Xinyi District in Taipeh ist der Hauptsitz der Fair Friend Group (FFG). Unter ihrem Dach sind große Traditionen der Werkzeugmaschinenindustrie weltweit gebündelt. FFG existiert seit 1979 und besitzt ein breites Portfolio unter anderem an Dreh,- Fräs- und Verzahnmaschinen. Im Automotive-Bereich sieht sich die Gruppe als Nummer eins. Im Werkzeugmaschinenbereich gehören aktuell 54 Produktionsstätten sowie 35 Marken der Gruppe an. Und FFG will weiter wachsen. Allein in diesem Jahr wurden sieben Maschinenhersteller und damit auch deren Technologiekompetenz aufgekauft.
Sales Department Manager Sam Chen erklärt: “Jedes Land hat andere Ansprüche. Von billigen zu High-End-Maschinen haben wir alles im Portfolio.”
In den Branchen Robotik, Werkzeugmaschinen, Windkraft und Aerospace fühlt sich Hiwin zu Hause. Die Maschinenkomponenten und Antriebslösungen des 1989 gegründeten Unternehmens finden sich in vielen Maschinen in aller Welt wieder. Zu den Kunden zählen unter anderem DMG, Haas, Hitachi oder Siemens. Bekannt ist Hiwin für seine Kugelrollspindeln für Werkzeugmaschinen und Linearachsenführungen, mit denen 80 Prozent des Umsatzes erzielt werden. Zu den wichtigsten Märkten zählen neben Taiwan Japan, Deutschland und Italien.
Im District Tan-Tzu in Taichung fertigt der Spanntischhersteller Tanshing eine große Palette an CNC-Rund- und Indexiertischen. Im alten und sehr dunklen Fabrikgebäude produzieren die Mitarbeiter auf bis zu 30 Jahre alten Maschinen Komponenten, die nach wie vor hohen Qualitätsansprüchen gerecht werden. Mit einem Anteil von 40 bis 50 Prozent stellt China Tanshings größten Markt dar. In Europa ist Deutschland der stärkste Markt des 80-Mann-Unternehmens.
Inmitten Taichungs Industrial Park fertigt Schneidwerkzeughersteller Speed Tiger Fräswerkzeuge, Hartmetallwendeplatten und -bohrer sowie Werkzeughalter. Das 18 Jahre junge Unternehmen sorgt im eigenen Haus für die richtige Beschichtung und tritt in diesem Bereich auch als Dienstleister auf. Bei unserem Besuch fiel sofort der hohe Frauenanteil auf. 60 der 150 Mitarbeiter sind weiblich. Ihren Hauptumsatz erwirtschaftet Speed Tiger im Ausland. Wichtigster Markt ist China, gefolgt von Japan und Thailand.
Taiwanischen Produkten hängt meist das “Billig-Image” an. Dabei bieten die Hersteller inzwischen oft hohe Qualität.
Erste eigene Steuerung
Die Delta Electronics Group mit 70.000 Mitarbeitern wurde 1971 gegründet. Delta bietet Stromversorgungen für Computerindustrie, Telekommunikation, Medizintechnik, erneuerbare Energien und industrielle Anwendungen. Aktuell entwickelt Delta eine erste CNC-Steuerung.
Der 30 Jahre alte Hersteller von Kugelrollspindeln TBI Motion im District Shulin in Taipeh gilt als Spezialist für Linearführungen und Präzisions-Kugelgewindetriebe. Das Unternehmen verzeichnete im letzten Jahr ein 30-prozentiges Wachstum. Allein mit ihren Linearführungen erreichte TBI Motion im Jahr 2015 48,8 Millionen Dollar Umsatz. TBI Motion sieht in Deutschland und den USA Potenzial – allerdings seien diese Märkte stark umkämpft. Sehr offen sprach Sales Department Manager Bruce Li über die Wettbewerbssituation des Landes und über Taiwans Imageproblem: “Für taiwanische Produkte mag man, obwohl sie fast gleich gut sind, kein oder nicht zu viel Geld ausgeben, für deutsche oder chinesische aber schon.” Außerdem belastet die starke Abwertung des Yen in Japan die gesamte Insel. Länder wie China oder Taiwan haben deshalb das Nachsehen und müssen deutliche Umsatzeinbußen verzeichnen.