Hermann Rumpel.

Hermann Rumpel, Vorsitzender Verband der Deutschen Drehteileindustrie. – (Bild: Rumpel)

FERTIGUNG: Herr Rumpel, aufgrund der Krise regt der Verband der Deutschen Drehteileindustrie ein Umdenken in der industriellen Lieferkette an. Wie könnte das zukünftig aussehen?

Hermann Rumpel: Unsere Kunden sollten ihre Bedarfsfälle, die wegen des reinen Stückpreises ins außereuropäische Ausland verlagert wurden, nochmals kritisch bezüglich der wirklichen Gesamtkosten und der Umweltbelastung betrachten, dann eine faire Neubewertung durchführen und bei ähnlich günstigen Kosten lokale Lösungen bevorzugen. Sinnvoll wäre auch, dass im Zuge des Risikomanagements bei größeren Volumina und aus Sicherheitsgründen Dual-Sourcing-Strategien mit mindestens einer Quelle in Europa eingerichtet werden. Wenn kein Umdenken einsetzt und weiterhin nur preisgetrieben eingekauft wird, wird es bald keine leistungsfähigen Lieferanten mehr in der EU geben. Die Gefährlichkeit der neuen Seidenstraße in Europa muss intensiv beachtet werden.

Welche Vorteile bringt eine neue Beschaffungsstrategie?

Rumpel: Arbeitsplätze in Europa – auch für Nicht-Akademiker – bleiben erhalten, die Flexibilität wird steigen, Lieferketten werden beherrschbarer und vermeiden so Produktionsstillstände. Lagerkosten werden sinken, Währungs- und politische Risiken entfallen und die Lieferantenbetreuung wird durch die Nähe zur Produktion einfacher und billiger. Eine heimatnahe Produktion dient in großem Umfang auch dem Klimaschutz.

In welchem zeitlichen Rahmen sollte dies geschehen?

Rumpel: Wir müssen schnellstmöglich die Gunst der Stunde nützen und sofort damit beginnen, da jetzt viele OEMs und Tier-1-Unternehmen die bisherigen Beschaffungsstrategien auf den Prüfstand stellen werden, weil sie gesehen haben, wie Lieferketten teilweise zusammenbrechen. Wir müssen uns aber im klaren sein, dass die Umsetzung ein bis zwei Jahre Zeit braucht.

Kann die Wirtschaft dies alleine bewältigen?

Rumpel: Die Wirtschaft wird dies nicht alleine bewältigen können. Wir brauchen sowohl eine neue Industriepolitik, wie auch ein Konjunkturprogramm nach Corona. Um einen Ausverkauf in Europa zu vermeiden und um den Know-how Abfluss zu stoppen, braucht die Industrie eine strategische Begleitung durch die Politik. Wir alle müssen weg von dem längst überholten Motto „Geiz ist geil“ und hin zu Qualität und Nachhaltigkeit. Dabei müssen wir unser Bewußtsein für Deutschland und Europa stärken, ohne in einen Protektionismus zu fallen. Die Infrastruktur (Glasfasernetz, Schiene, Straße) muss schnellstens ausgebaut werden, wir brauchen eine Abkehr von der Verdammung der sauberen Verbrennungsmotoren und müssen die Elektromobilität unter wirklicher Betrachtung der kompletten Herstellkette neu bewerten sowie die Förderung überdenken. Wichtig ist auch, dass Bürokratiemonster wie die A1-Bescheinigung abgeschafft oder die Datenschutzgrundverordnung sofort vereinfacht wird.

Wie setzen Sie hier bei Ihrem Unternehmen der Rumpel Präzisionstechnik an?

Rumpel: Als kleiner Mittelständler im Bereich der Zerspanungstechnik können wir mit unseren 50 Mitarbeitern und den 30 CNC Maschinen nur bestehen, wenn wir einerseits noch stärker als bisher in der Nische agieren und uns andererseits nicht einseitig an einer Branche ausrichten. Ich habe in meinem Unternehmen gut ausgebildete und engagierte Fachkräfte, mit denen ich die Spezialisierung auf das Drehen und Fräsen von hochlegierten Werkstoffen weiter ausbauen kann. Wir müssen aber auch noch unsere Flexibilität erhöhen, die Digitalisierung und den Automatisierungsgrad ausbauen, mehr Baugruppen fertigen und mit Zukaufleistungen unser Portfolio abrunden.

Welchen Rat haben Sie für die Hersteller von Dreh- und Frästeilen, um die Krise zu bewältigen?

Rumpel: Ein wichtiger Rat an meine Kollegen ist sicherlich, sich nicht auf Preiskämpfe einzulassen. Die Unternehmen sollten sich darüber hinaus auf ihre Stärken und ihr eigenes Know-how besinnen, und mit Blick auf die Zukunft, die Ausbildung verstärken und die Digitalisierung in der Supply Chain vorantreiben. Nur so kann unsere Branche rechtzeitig auf neue Herausforderungen reagieren. Leider fehlt dafür sehr häufig das notwendige Kapital, da die Branche durch den asiatischen Wettbewerb seit Jahren unter enormem Kostendruck steht. Als ganz wichtigen Punkt sehe ich auch die Zusammenarbeit der Unternehmen. Dies wird durch eine Mitgliedschaft im Verband der Deutschen Drehteileindustrie wesentlich erleichtert. Vielen Unternehmen sind das Potenzial des Austausches mit Kollegen und die Vorteile einer Verbandsmitgliedschaft leider nicht bewusst.

Quelle: Verband der Deutschen Drehteileindustrie

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