Im Siemens Gasturbinenwerk Berlin werden die weltweit effizientesten Gasturbinen gefertigt. Unter anderem wird dort eine der größten und leistungsstärksten Gasturbine von Siemens gebaut. Die SGT5-8000H hat eine Leistung von 400 MW, ist rund 13 m lang und wiegt 440 t. Trotz dieser Dimensionen in XXL bewegen sich die Bearbeitungstoleranzen im Hundertstelmillimeterbereich. Jede noch so kleine Ungenauigkeit hätte nach Aussage der Siemens-Experten negative Auswirkungen auf den Wirkungsgrad und die Leistung.
Die Turbine SGT5-8000H wird aus mehr als 8000 Einzelteilen in höchster Präzision gefertigt. Die Gehäuse und Leitschaufelträger der unterschiedlichen Gasturbinentypen am Standort an der Huttenstraße bestehen meist aus den Werkstoffen GGG40, Stahl und Stahlguss. Zur Bearbeitung hat Siemens vor einigen Jahren das größte Bohrwerk Europas – eine Innse Beradi FAF 260 – und als Portal-Drehfräszentrum eine Waldrich Coburg PowerTurn 6500 AS in unmittelbarer Nähe zueinander installiert. Mit dieser hochmodernen Fertigungszelle können auch große Gehäuseteile auf engstem Raum effizient bearbeitet werden. Zum Maschinenpark zählen des Weiteren Bohrwerke von Pama, Skoda sowie Portal-Bearbeitungszentren von Waldrich Coburg und Schiess.
Kein Wunder, dass die Fertigungsspezialisten von Siemens auch bei den Werkzeugen auf höchste Genauigkeit achten. So kommen, um nur ein Beispiel zu nennen, seit einigen Jahren bei der Teilflächen-
respektive Fräsbearbeitung der Gasturbinengehäuse und Leitschaufelträger bereits Helido-S845-Planfräser von Iscar zum Einsatz. Die Werkzeuge punkten dort mit hoher Prozesssicherheit und reduzierten Schnittkräften.
Zuletzt standen für Siemens das Verschraubungs-Bohrungsgewinden der Gehäuseteilflächen und der Gehäusestirnseiten auf dem Prüfstand. Eine fertigungstechnisch herausfordernde Bearbeitung. „Unsere Ausgangssituation war die, dass wir beim Gewindebohren an einem Großgehäuse bei einer Fehlbearbeitung nur begrenzte oder gar keine Reparaturmöglichkeiten hatten, da an dieser Stelle zu wenig Material ist, um eine Buchse zu setzen“, skizziert Markus Zapke, Head of Tooling, Equipment and Processes im Siemens Gasturbinenwerk Berlin, die Problemstellung. Als Alternative kam damals zuerst das Gewindewirbeln zum Einsatz, das sich aber als äußerst zeitintensiv herausstellte.
Auf einen Blick
Gewindefräser Millthread von Iscar
Vorteile durch spezielle Schneidengeometrie und Zähnezahl:
- weniger Leistungsaufnahme
- geringerer Schnittdruck
- weniger radiale Abdrängung
- große realisierbare Bearbeitungstiefen
- weniger Hitzeentwicklung
Technologietransfer
Im Rahmen eines Technologietransfers vom Siemens-Werk Standort Duisburg brachte Michael Bender, Industriespezialist Power Generation bei Iscar, vor knapp drei Jahren im Werk Berlin das Gewindefräsen ins Spiel. „Die technische Herausforderung beim Gewindefräsen von Verschraubungsbohrungen sind die großen Gewindetiefen großdimensionierter Gewinde, die hohe Werkzeugauskragungen erforderlich machen“, erklärt Bender. Ein gängiger Gewindetyp ist seiner Aussage nach beispielsweise ein M100x6 mit einer Gewindetiefe von 159 mm. Aufgrund der hohen Werkzeugauskragung werden vielerorts Gewindewirbelwerkzeuge eigesetzt. Diese Werkzeuge ermöglichen trotz tiefer Kavität eine prozesssichere Bearbeitung, da jeweils nur ein Gewindegang bearbeitet wird und somit geringe Abdrängkräfte wirken. Nachteil hierbei ist jedoch die lange Bearbeitungszeit, die sich über den langen Fräsweg ergibt. „Der mehrgängige Gewindefräser Millthread von Iscar birgt hier ein enormes zeitliches Einsparpotenzial“, bringt es Bender auf den Punkt. Trotz der gleichzeitigen Fräsbearbeitung mehrerer Gewindegänge ergibt
sich durch die spezielle Schneidengeometrie und abgestimmte Zähnezahl ein sehr weicher Schnitt und eine geringe radiale Abdrängung.
„Das Gewindefräsen wurde inzwischen hier von M27 bis M100 implementiert“, so Bender. „Das Gewindefrässystem Millthread hat seine Stärken insbesondere bei groß dimensionierten Verschraubungs-Bohrungsgewinden, wie etwa an den Teilflächen der Gasturbine, wo später die Gehäusehälften zusammengefügt werden, aber auch an den Gehäusestirnflächen beziehungsweise den Flanschseiten. „Im Vergleich zum herkömmlichen Wirbeln ermöglicht diese technische Besonderheit im Schnitt eine etwa drei- bis viermal schnellere Bearbeitung der Gewinde. Im Vergleich zum Gewindebohren besteht der Vorteil jedoch in der höheren Prozesssicherheit und nicht in der höheren Produktivität. Dies ist bei den hohen Bauteilkosten ebenfalls ein schwerwiegendes Argument für das System“, wie der Industriespezialist betont.
Wie sich schnell herausstellte, war das Werkzeugsystem von Iscar für die Anwendungen bei Siemens bestens geeignet. Schwierigkeiten traten dann jedoch bei bestimmten Konstellationen von Gewindetyp und Werkzeugfräsdurchmesser auf. Konkret bei den Gewinden M56x5,5 und M27x3 – „zwei Größen, die sich im Grenzbereich der Profilverzerrung befinden“, wie es Bender beschreibt. Nach entsprechenden Versuchen im Iscar-Testcenter in Ettlingen konnten die Gewindetypen in einwandfreier Qualität gefertigt und für den Kunden Siemens freigegeben werden.
Im Vergleich zum Gewindewirbeln ist das Gewindefräsen drei- bis viermal schneller.
Als vorteilhaft hat sich nach Aussage von Zapke die Geometrie der Wendeschneidplatten erwiesen: „Das Gewindefräsen war für uns grundsätzlich nichts Neues. Neu war für uns die Plattenform. Es handelt sich hierbei um eine gedrallte Platte, die einen weichen Schnitt ermöglicht. All das macht uns bei der Bearbeitung dieses duchlaufzeitenbestimmenden Bauteils äußerst
erfolgreich. Es gibt zwar andere Anbieter für das Gewindefräsen, jedoch bietet Iscar hier ein durchgängiges Programm an. Wenn wir eine Technologie im Unternehmen ändern, achten wir
immer darauf, dass wir dieses System nicht nur punktuell einsetzen, sondern auch an anderen Stellen verwenden können. Unsere Gewinde reichen von M6 bis M100x6, und mit den Iscar-Gewindefräsern decken wir unseren gängigen Gewindebereich sehr gut ab.“
Heute sind im Siemens Gasturbinenwerk Berlin fünf Fräsköpfe in unterschiedlichen Dimensionen und Durchmessern im Einsatz. Bedingt durch die entsprechenden Gewindegrößen sind hier speziell angepasste Aufnahmen in unterschiedlichen Auskraglängen erforderlich. Durch optimale Abstimmung der Werkzeugaufnahmedurchmesser an die Fräskörperdurchmesser wird nach Aussage von Bender maximale Stabilität für eine schwingungsfreie Bearbeitung realisiert. Damit wird nach Aussage von Bender eine maximale Stabilität für den Fräskörper erreicht, die eine schwingungsfreie Bearbeitung ermöglicht. Die eingesetzten Platten sind Standard mit unterschiedlichen Steigungen und können im Handumdrehen gewechselt werden.
„Ein wichtiger zusätzlicher Aspekt ist, dass durch eine Optimierung bzw. Umplanung des Produktionsablaufes weg vom Bohrwerk hin zur PowerTurn bei der Bearbeitung der Flansch-Bohrungsgewinde an den Gehäusestirnseiten eine komplette Bauteilspannung eingespart werden konnte“ betont Reich. „Anstatt hälftig auf dem Bohrwerk findet die Bearbeitung nun hochkant im Zusammenbau auf dem Portal-
Drehfräszentrum statt“, fährt Reich weiter fort. Unter Einbeziehung der Vorteile des Iscar-Fräsers wurde dieser Produktionsschritt somit ganzheitlich optimiert. Auch am Siemens-Standort für Dampfturbinenfertigung in Görlitz konnte unterdessen im Rahmen eines weiteren Technologiertransfers durch das Millthread-Gewindefrässystem ebenfalls eine deutliche Einsparung erzielt und das System platziert werden. „In einem aktuellen Fall konnte an einer Gehäuseteilfläche eines Dampfturbinengehäuses die Bearbeitung von 62 Verschraubungs-Bohrungsgewinden M90x6 mit einer jeweiligen Gewindetiefe von 96 mm dreimal schneller durchgeführt werden“, fügt Bender hinzu. Abschließend resümiert Reich: „Das System von Iscar wird im Gasturbinenwerk Berlin gelebt und akzeptiert.“
Kontakt:
- Siemens AG Gasturbinenwerk Berlin, www.siemens.com
- Iscar Germany GmbH, www.iscar.de
EMO Halle 6, Stand M14 N13