Die Präzisionswerkzeug-Hersteller konnten im vergangenen Jahr eine Umsatzsteigerung von acht Prozent auf rund 9,9 Milliarden Euro erzielen. Das entsprach den Prognosen, wie Stefan Zecha, Vorsitzender des Fachverbands Präzisionswerkzeuge im VDMA Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau und Chef des gleichnamigen Unternehmens, feststellt. Dennoch war 2022 ein „insgesamt betrachtet bewegtes Jahr.“
Nach gutem Jahresstart sorgten der Überfall Russlands auf die Ukraine und die sich verschlechternde Coronasituation in China für eine Talfahrt. Engpässe bei Materialien und Komponenten sowie deutlich eingetrübte Stimmungsindikatoren bremsten die Produktionstätigkeit der Präzisionswerkzeuge-Kunden. Steigende Energiekosten und nicht enden wollende Lieferkettenprobleme ließen die Nachfrage sinken.
Hinzu kamen laut Zecha hausgemachte Probleme: eine überbordende Bürokratie, der wachsende Fachkräftemangel und zunehmende Forderungen zur Nachhaltigkeit der Fertigung.
Stabilisierend wirkte in dieser Situation eine sich gut erholende deutsche Autoindustrie und der recht gut laufende Maschinenbau. Als weitere Plusbranchen erwiesen sich die Luftfahrtindustrie und der Anlagenbau für die im Wandel befindliche Energiegewinnung: „Windkraftgeneratoren, Wärmepumpen und Anlagen rund um die nun verstärkt in den Fokus rückende Wasserstoffwirtschaft mit all den hierfür benötigten Komponenten treiben den Werkzeugbedarf an.“
Nicht zuletzt stieg in Folge des Ukrainekrieges die Nachfrage aus der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Das sorgte für eine Wiederbelebung im zweiten Halbjahr 2022. Daran ändert auch ein ordentlicher Dämpfer für den gesamten Maschinenbau Anfang diesen Jahres wohl nichts.
VDMA-Chefvolkswirt Dr. Ralph Wiechert erklärt den Rückgang mit dem im Vergleich besonders starken Vorjahres-Januar. Wiechert zur aktuellen Situation: „Die Lage in den Lieferketten hat sich etwas entspannt, aber der Ukraine-Krieg, die hohe Inflation und die lange schwächelnde chinesische Wirtschaft dämpfen nach wie vor die Konjunktur.“ Dennoch rechnet Stefan Zecha für die Präzisionswerkzeuge-Hersteller mit einem weiter steigende Bedarf an Werkzeugen um etwa acht Prozent.
Sein Verbandskollege Gerhard Knienieder, Vorsitzender der Fachabteilung Gewindewerkzeuge im Fachverband und Geschäftsführer der Emuge-Franken-Gruppe, verweist auf die in Summe starke Auslandsnachfrage nach Zerspanwerkzeugen: „Insbesondere das Amerikageschäft lief stark. Schwach blieb dagegen das Geschäft mit China, unserem zweitwichtigsten Auslandsmarkt.“
Andere ostasiatischen Märkte wie Korea, Taiwan und Japan legten in letzter Zeit hingegen deutlich zu und sorgten für eine insgesamt ausgeglichene Bilanz im Ostasiengeschäft. Aufwärts ging es auch in Indien. Vor der eigenen Haustür lief es hingegen nicht ganz so gut. Während in Deutschland der Absatz, wenn auch unter Vorkrisenniveau, noch leicht stieg, gaben praktisch alle europäischen Auslandsmärkte aus deutscher Sicht nach.
Die Branche durch die europäische Brille
Markus Horn, geschäftsführender Gesellschafter des Werkzeugherstellers Paul Horn, ist Präsident der ECTA, der European Cutting Tools Association. Er hat also neben der deutschen auch die europäische Brille auf und konstatiert einen Erholungskurs der Werkzeugindustrie in den ECTA-Mitgliedsländern. Auch hier habe das gute zweite Halbjahr für einen Schub gesorgt. Dämpfend wirkten sich Lieferkettenprobleme und der Krieg in der Ukraine aus.
Insgesamt konnte die europäische Werkzeugindustrie die grenzüberschreitenden Lieferungen von Zerspanwerkzeugen leicht um vier Prozent steigern. „Nach wie vor finden zwei von drei europäischen Werkzeugen aus der EU auch ihre Verwendung innerhalb der EU“, so Horn. Schwach entwickelte sich – dank Brexit – Großbritannien. Die außereuropäischen Märkte liefen ähnlich wie für Deutschland: USA geht voran, China lahmt.
Das Thema Nachhaltigkeit steht auch außerhalb Deutschlands ganz oben auf der Agenda der Unternehmen. Horn: „Der EU Green Deal ist bei unseren Kunden angekommen und das Thema Nachhaltigkeitsdokumentation nimmt Fahrt auf.“ Mittlerweile seien viele Unternehmen mit der Umweltmanagementsystem-Zertifizierung nach ISO 14001 gut aufgestellt. „Jedoch gehen wir davon aus, dass beispielsweise von Großkonzernen künftig darüber hinausgehende Anforderungen gestellt werden.“ Weshalb Horn auch aus europäischer Sicht die VDMA-Initiative ‚PCF-Berechnungsguideline‘ (Product Carbon Footprint) zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks begrüßt.
Klimaziele nur technologieoffen erreichbar
Trotz Krisen positiv entwickelte sich auch das Geschäft der Spanntechnik-Hersteller. Philipp Ehrhardt, Vorsitzender der Fachabteilung Spannzeuge und Geschäftsführer der Roemheld-Gruppe, berichtet von einem Anstieg der Exporte in die USA „um sagenhafte 23 Prozent“. Damit habe sich die USA wieder an China vorbei auf die Pool Position geschoben, während der chinesische Markt enttäuschte.
Schuld daran waren nicht nur die Lockdowns, sondern auch eine schwache Investitionstätigkeit im Reich der Mitte. Ergebnis: minus zwölf Prozent. Und die Heimat? Europa zeigte sich zwar uneinheitlich, unterm Strich ergab sich aber immerhin noch ein Plus von rund fünf Prozent. Auch für das laufende Jahr rechnet Ehrhardt mit einem Produktionswachstum.
Ein strikter Gegner ist Ehrhardt von Technologie-Restriktionen durch die Politik. Er fordert: „Beschränken Sie sich auf das Stecken von Zielen und überlassen Sie dem Wettbewerb den technischen Weg dorthin!“ Technologieoffenheit sei der größte Hebel der Klimapolitik, weshalb er auch das Verbrennerverbot ab 2035 ablehnt. Ehrhardt teilt die Bedenken des EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton, dass die ausschließliche Festlegung auf Elektroautos die komplexen, gut eingespielten Wertschöpfungsketten aufs Spiel setze, viele Arbeitsplätze gefährde und einen enormen Verbrauch kritischer, knapper Rohstoffe auslöse: „Um wirkungsvollen Klimaschutz schnell zu realisieren, müssen alle klimafreundlichen Antriebsoptionen genutzt werden. Das gilt auch für den mit CO2-neutralen, grünen eFuels oder mit Wasserstoff betriebenen Verbrennungsmotor.“ Nachhaltige Kraftstoffe könnten als Energiespeicher sogar ein Teil der Lösung sein, um Schwankungen in der Gewinnung von Energie aus Wind und Sonne auszugleichen, wirbt Ehrhardt.
Harte Zeiten für den Werkzeugbau
„Es gibt keine erfolgreiche industrielle Produktion ohne den Werkzeugbau. Dennoch geht diese Schlüsselbranche durch harte Zeiten“, fasst Marco Schülken, Vorsitzender des VDMA Werkzeugbau und Geschäftsführer von Schülken Form, die Lage zusammen. Während der deutsche Markt auf niedrigem Niveau konstant blieb, schwächelte, abgesehen von der Schweiz, die Auslandsnachfrage. Besonders betroffen war der Werkzeugbau von den Reisebeschränkungen im wichtigen Chinageschäft. Schülken: „Abnahmen und Einarbeitungsvorgänge mit entsprechendem Fachpersonal vor Ort bleiben in den allermeisten Fällen unerlässlich. Reisebeschränkungen schmerzen deshalb besonders.“ Besser lief es in den USA, die bis Oktober 15 Prozent mehr Formen, Stanzwerkzeuge und Vorrichtungen abnahmen.
Vom erholten Automotive-Markt konnte der Werkzeugbau noch nicht profitieren, denn nur wenige neue Modellen brauchten entsprechend weniger Werkzeugbauten. Als stabil erwies sich hingegen die Medizintechnikbranche. Schlecht lief es bei den Möbelherstellern, traditionell die wichtigste Kundengruppe der Werkzeug- und Formenbauer. Sie leiden besonders unter den Inflationsängsten der Endkunden.
Die Inflation in Deutschland ist es dann auch, die Schülken Bauchschmerzen bereitet. „Die kleineren Unternehmen leiden darunter sehr, zumal auch die Kaufkraft ihrer Belegschaften schwindet, ohne dass die Arbeitgeber die Mittel haben, dies auszugleichen.“ Die Zahl der Werkzeugbaubetriebe und damit die Fertigungskapazität in Deutschland schwinde zunehmend. „Ein Grund ist das teilweise rücksichtslose Geschäftsgebaren großer Kunden, Kunden-Insolvenzen und Wettbewerbsverzerrungen.“ Vor allem Italien und China fielen negativ auf. Schülken verwies in diesem Zusammenhang einmal mehr auf die Fairness+-Initiative des VDMA.
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