Martin Meenen, geschäftsführender Gesellschafter der Aquatec in Emmerich, erklärt: "Die Fertigungslinie, die wir im Oktober 2021 in Altdorf aus einem Konkurs heraus übernehmen konnten, ist in dieser Konfiguration weltweit nahezu einmalig." Sein ursprünglich auf den Wasserstrahl-Zuschnitt großformatiger Bauteile spezialisiertes Unternehmen hat sich auf die Einzelstück- und Serienfertigung hochwertiger Komponenten für anspruchsvolle Branchen einen Namen gemacht. Kunden kommen aus der Automobilindustrie, der Luft- und Raumfahrt, dem Maschinenbau oder der Architektur.
Für die Erfüllung verschiedenartigster Aufgabenstellungen wurde eine Vielzahl unterschiedlichster Einzelmaschinen beschafft. Eine automatisierte Verkettung ist deshalb nicht möglich. Dies erwies sich bei manchen Aufträgen als Flaschenhals. Das jeweils erforderliche Umspannen kostete nicht nur Arbeitszeit, sondern war auch mit Qualitätsrisiken verbunden. Dieses Manko konnte jetzt mit der Übernahme eines ehemaligen Ruag-Werks im Schweizer Altdorf überwunden werden. Synergien zwischen den Anlagen und Technologien im Mutterwerk in Emmerich sowie dem neuen Standort in Altdorf ermöglichen zusätzliche Vorteile durch Verlängerung der Wertschöpfungskette.
Erste Station ist der Rüstbereich
"Das Herzstück der neuen Anlagentechnologie ist eine durchgehende Transfereinrichtung für Werkstücke mit Abmessungen bis zu 5.850 x 5.000 x 3.000 Millimeter", ergänzt Gesellschafterin Lucia Esposito, in der Geschäftsführung für den Bereich Marketing und Finanzen zuständig. Erste Station ist der Rüstbereich, in dem die Werkstücke auf quadratischen oder runden Paletten aufgespannt und die benötigten Werkzeuge vorbereitet werden.
In der nächsten Halle stehen dann entlang dieser Transferlinie zunächst zwei fünfachsige Fräsbearbeitungszentren Multitec 2500 von Waldrich Coburg, gefolgt von einer weiteren Multitec 2500 mit zusätzlicher Drehfunktion. Als nächstes folgen ein DMC-Drehfräszentrum 340 FD und ein Drehfräszentrum Mastertec von Waldrich Coburg für Werkstücke mit Abmessungen bis zu 5.850 x 5.000 x 3.000 Millimeter.
Multitec 2500
Die Multitec ist das kleinste Portalbearbeitungszentrum von Waldrich Coburg in modularer Bauweise. Die Anpassung an kundenspezifische Anforderungen ist eine Selbstverständlichkeit: Länge, Breite und Höhe; mit festem oder höhenverstellbarem Querbalken; in Ein-, Doppeltisch- oder Palettenausführung, mit integriertem Karusselldrehtisch und mit wechselbaren Spindeleinheiten. Alternativ mit drei + zwei Achsen oder fünfachsig. Die Anwenderindustrien sind der Werkzeug- und der allgemeine Maschinenbau, Kraftwerks- und Turbinenbau, der Dieselmotorenbau, sowie der Druckmaschinen- und Kunststoffmaschinenbau.
Eine weitere DMC 340 FD in der benachbarten Halle ist über eine Schleuse ebenfalls an die Transferlinie angebunden. Den Abschluss der Linie bildet eine große Koordinatenmessmaschine Typ MMZ G von Zeiss mit Messraum-Abmessungen von 3.000 x 6.000 x 2.000 Millimeter und einer Grundgenauigkeit von ± drei Mikrometer. Die zentrale Späneabfuhr verfügt über Spänebrecher und Materialtrennung. Für kleinere Bauteile steht in der Nebenhalle schließlich noch ein DMC-Drehfräszentrum DF 200 mit fünf Palettenplätzen zur Verfügung.
Alles in einer Aufspannung
"Die Transferlinie verfügt über insgesamt 27 Paletten sowie zahlreiche Rüst-, Puffer- sowie Inspektionsplätze", verrät Wirtschaftsingenieur MBA Serge Truttmann, Mitgesellschafter und Betriebsleiter des Werks in Altdorf. Aufgrund der meist sehr langen Bearbeitungszeiten auf den einzelnen Maschinen können die Werkstücke in der Regel ohne Zeitverzögerung in beiden Richtungen entlang der Transferline verschoben werden, wobei sie jeweils in der gleichen Aufspannung auf der Palette bleiben. Dies gilt auch für das Vermessen in der Koordinatenmessmaschine. Bei kritischen Genauigkeitsanforderungen kann ein Bauteil somit zwischen Schrupp- und Finishbearbeitung nochmals feinvermessen werden.
Dies ermöglicht es beispielsweise, beim Ausspindeln von Bohrungen geringfügige Lagetoleranzabweichungen noch auszugleichen. Zur Gewährleistung höchstmöglicher Präzision wird zudem großer Wert auf Temperaturkonstanz gelegt.
Die gesamte Halle wird mithilfe großer Klimageräte konstant auf ± 1 °C temperiert. Im separat eingehausten Messraum liegt die Temperaturkonstanz sogar bei ± 0,5 °C. Weitere Maßnahmen sind die Einhaltung ausreichender Zeitintervalle, um eine Temperaturangleichung der Werkstücke sicherzustellen, sowie die Dokumentation der Werkstücktemperatur während des Messvorgangs mithilfe von Thermoelementen.
"Da wir sowohl Einzelstücke als auch mittlere Serienlosgrößen bearbeiten, kommt bei allen Bearbeitungsvorgängen durchgängig das CAD-CAM-System Topsolid Cam zum Einsatz", sagt Meenen. Auf der Grundlage der CAD-Daten des Kunden werden sämtliche Bearbeitungsschritte durchgängig geplant, die Spannlagen definiert und die erforderlichen Spannmittel konstruiert. Nach Ermittlung der optimalen Bearbeitungsstrategie werden die erforderlichen Werkzeuge bestimmt und den betreffenden Jobs zugeordnet.
Das ins CAD-Programm integrierte Tool-Management-System verwaltet einen Werkzeugpark mit mehreren 1.000 verschiedenen Werkzeugen, darunter viele Spezialausführungen wie Spindelwerkzeuge bis zu 1.500 Millimeter Durchmesser. Alle Werkzeuge sind mit RFID-Chips von Balluff ausgestattet. Vorbereitung und Prüfung erfolgen parallel zum Einrüsten der Werkstücke auf Palette. Anschließend werden sie in die Magazine des betreffenden Bearbeitungszentrums eingespeist.
Rund 25 Mitarbeiter ziehen mit um
"Nach Übernahme der weitgehend heruntergewirtschafteten Firma konnten wir zum Glück noch rund 25 Mitarbeiter aus der ursprünglichen Belegschaft wieder einstellen", weiß Truttmann. Viele davon seien hoch qualifiziert und hätten langjährige Erfahrung mit der Bedienung der anspruchsvollen Maschinen und Anlagen. Dies gelte auch für die zugehörige Peripherie einschließlich der CAD-CAM-Software. Ergänzend brächten sie zudem die für die Schweiz typischen Eigenschaften wie Fleiß, Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit und Liebe zum Detail mit. Ihr Wissen und ihre Einstellung gäben sie auch jüngeren Mitarbeitern weiter, die von ihnen nach und nach eingearbeitet werden. Diese gesunde Mischung aus erfahrenen Fachkräften und jungem, motiviertem Nachwuchs stelle im Prinzip das wertvollste Kapital des Unternehmens dar.
Die bisherigen Kunden könnten daher darauf zählen, dass ihre Werkstücke weiterhin mit der bisher gewohnten Qualität bearbeitet werden. Daraus ergebe sich auch für das Werk und die Arbeitsplätze eine positive Zukunftsperspektive.
Erhebliche Synergien
"Für unsere beiden Standorte in Emmerich und hier in Altdorf ergeben sich durch die Zusammenführung erhebliche Synergien", sagt Esposito. Am Standort Emmerich gebe es zahlreiche Maschinen mit teils sehr speziellen Eigenschaften, so eine Anlage mit einer Bauraumlänge von bis zu 12.500 Millimeter sowie einige hochdynamische Bearbeitungszentren mit hohen Zerspanungsleistungen. Auf der anderen Seite erreichten diese jedoch nicht ganz die Genauigkeitswerte, welche in Altdorf gewährleistet werden können. Auch sei der Messraum der in Emmerich vorhandenen Koordinatenmessmaschine kleiner als derjenige in Altdorf.
Deshalb mache es Sinn, große Strukturbauteile in Emmerich von beispielsweise 32 auf sieben Tonnen herunter zu schruppen, um sie dann in der Schweiz auf Endmaß bringen zu lassen. Umgekehrt gebe es in Emmerich die Möglichkeit, in Altdorf bearbeitete Komponenten zu Schweißkonstruktionen zusammenzufügen und so die Wertschöpfungskette zu verlängern. Inzwischen denke man darüber nach, auch im Schweizer Werk zusätzliche Bearbeitungsschritte wie etwa das Einschrumpfen von Buchsen durchzuführen.
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