Taiwan gilt weltweit als der siebtgrößte Produzent von Werkzeugmaschinen und Zubehör. Im Jahr 2017 erreichten die taiwanischen Maschinen-Exporte mit 25,6 Mrd. US-Dollar einen neuen Rekord. Zu den Hauptabnehmerländern zählen China mit 35 Prozent, die USA mit 11 Prozent, die Türkei mit 4,3 Prozent, gefolgt von Deutschland mit 3,7 Prozent.
Nicht ohne Grund hat die Regierung Taiwans speziell für die Schlüsselindustrien, die das Land besonders vorantreiben sollen, ein Förderprogramm ausgerufen. Dabei ist der intelligente Maschinenbau respektive "Smart Machinery" ein wichtiger Eckpfeiler in diesem Prozess. Smart Machinery wurde übrigens 2016 als Pendant zur deutschen Industrie 4.0-Initiative aus der Taufe gehoben. Ein wesentlicher Teil dieses Ansatzes ist die Idee einer intelligenten Produktion, bei der Maschinen in Echtzeit miteinander kommunizieren. Dabei gilt es – wie bei Industrie 4.0 – Fertigungsprozesse effizienter zu gestalten und zu optimieren. Ein erklärtes Ziel ist, durch die fortschreitende Automatisierung vor allem die internationale Wettbewerbsfähigkeit Taiwans zu erhöhen.
Dass Smart Machinery in Taiwan nicht nur eine Worthülse, sondern längst gelebte Philosophie bei den Maschinenherstellern ist, gilt unbestritten. Doch wie sehen die aktuellen Lösungen aus? Befinden sich die Unternehmen schon auf Augenhöhe mit den deutschen Maschinenherstellern? Neun namhafte Unternehmen und ein Forschungsinstitut haben Mitte November 2018 ihre Werkstore geöffnet und tiefe Einblicke gewährt. Zudem standen die Verantwortlichen Rede und Antwort rund ums Thema Smart Machinery und Smart Production. Im Rahmen einer Taitra-Branding Tour führte die einwöchige Reise von Taipei bis ganz in den Süden nach Tainan und gab Aufschluss über den aktuellen Status.
Green Technologies
Den Auftakt machte Delta Electronics in Taoyan City. Mit 8,41 Mio. US-Dollar Jahresumsatz hat sich der Spezialist für Telekommunikation, erneuerbare Energien und Steuerungstechnik mit seinen 7240 Mitarbeitern rund um den Globus einen Namen gemacht. "Green Technologies" lautet die eigene Strategie für die Produkte. Von der Antriebstechnik über Scara-Roboter, Servomotoren bis hin zu Automatisierungslösungen reicht die Palette der Highend-Entwicklungen aus Taoyan. Gut vernetzt – "smarter, greener – Taiwan", so die Devise von Andy Liu, dem General Manager von Delta Electronics Inc.
Mit cloudbasierten Technologien hat der Firmenchef die Weichen auf Industrie 4.0 gestellt. 1065 Delta-Mitarbeiter forschen und entwickeln tagtäglich auf Hochtouren. Jüngster Coup ist eine eigene CNC-Steuerung für Werkzeugmaschinen, die in einem Economic Cooperation Framework Agreement zwischen Taiwan und China entwickelt wurde. Die NC200-Serie für Drehmaschinen und die NC300 für Fräsmaschinen. Gut so, denn in puncto CNC-Steuerungen herrscht in Taiwan noch Nachholbedarf. Die meisten Steuerungen werden meist zugekauft und stammen von Fanuc, Heidenhain oder Siemens.
Weiter Richtung Süden geht der Trip nach Taichung. Das Herz des taiwanischen Maschinenbaus liegt in der Mitte Taiwans. Mit über 7000 Unternehmen – überwiegend kleine und mittelständische Hersteller – hat sich hier im sogenannten "Golden Valley" eines der größten Maschinenbau-Cluster angesiedelt.
Breites Produktportfolio bei YCM
Nächstes Etappenziel: Yeong Chin Machinery Industrie Co. Ltd., kurz YCM.
Das 1954 gegründete Unternehmen ist Hersteller von 5-Achs-Dreh-Fräszentren, die weltweit im Einsatz sind. Über 70 Modelle umfasst heute das Produktportfolio. Abgerundet durch eine eigene Spindelfertigung. Zu den Zielbranchen zählen die Automotive- und Aerospace-Industrie. Diese stellen höchste Anforderungen an Präzision und Industrie 4.0. Hier kann YCM etwa mit dem NFP500A-5AX-T Smart Multitasking Mill/Turn Machining Center und i-Connect punkten. Eine Cloud basierte Lösung, die im IoT vom CAM-System bis hin zur Werkzeugmaschine alle Daten vorhält. Diese werden nicht nur für die eigene Smart-Production genutzt, sondern dienen auch dem Predictive Maintenance oder Factory Management. Selbstverständlich alles in Echtzeit und jederzeit auf dem Smartphone abrufbar. Wing Liu, Section Supervisor Sales YCM, sieht sein Unternehmen bestens gerüstet für Smart Machinery.
Als durchwegs "smarter" Stop erweist sich der Besuch am Industrial Technology Research Institute, kurz ITRI, in Taichung. Es ist das offizielle, staatliche Institut für Smart Manufacturing. 50 Prozent des Budgets kommen von der Regierung, die andere Hälfte aus der Industrie. An der Wand am Eingang hängt eine große Tafel mit den Namen und Logos der Beteiligungsfirmen. Sie liest sich wie das Who-is-who der Branche – FFG, Goodway, YCM, Quaser und auch der deutsche Messtechnik-Spezialist Blum. Entwickelt werden am ITRI praxistaugliche Lösungen, beispielsweise für die Serienfertigung von Aluminiumfelgen und anderen Komponenten für die Automobilindustrie.
Ausgewertet und analysiert werden dabei mit ITRI-eigenen Softwaretools Spindeldaten oder Zerspanungsparameter. Obendrein gibt es eine eigene ITRI-Steuerung, mit der die Anwender sich auf dem Niveau von gängigen CNC-Steuerungen wie Fanuc oder Heidenhain bewegen. Vorteil: Der Anwender kann aus einer eigenen Cloud-Plattform die neuesten Software-Versionen zur Verbesserung und Optimierung seines Bearbeitungsprozesses downloaden. "Wir bieten alles rund um Industrie 4.0", bringt es Derek Luo, Division Director am ITRI auf den Punkt und lächelt: "Auch bei Siemens in Amberg sind Lösungen aus Taiwan zu sehen."
Hiwin – Hightech-Winner
Weiter geht es zu Hiwin Technologies Corp., dem zweitgrößten Hersteller von Motion Control-Systemen und -technologien weltweit. Der von Hightech-Winner abgeleitete Firmenname steht für Linearführungen oder Antriebstechnik auf höchstem Niveau. Das markante Grün und Rot des Hiwin-Logos findet sich weltweit in den Fertigungshallen der namhaften Werkzeugmaschinenhersteller.
Der zweistündige Besuch erweist sich als viel zu kurz, um all die Neuheiten und Informationen aufzunehmen. Industrie 4.0 ist quasi omnipräsent und findet sich bei allen Produkten wieder. Ob Linearführungen oder Kugelgewindetrieb – alles ist "ready for Industrie 4.0". Und das sind keine leeren Versprechungen an die Kunden. "Wir arbeiten bei unseren Entwicklungen sehr eng mit Mitsubishi Electric zusammen", betont Shawn Sung, Vice President Hiwin Technologies Corp. Dies spiegelt sich auch in den neuesten Lösungen rund um Industrie 4.0, die von der Vibrations-, Temperatur- oder Schmierstoff-Überwachung in den Antrieben reicht. Intelligent Diagnosis lautet das Schlagwort, mit dem Hiwin für seine Anwender ein breites Spektrum zum Thema Industrie 4.0 bietet. „Führungen sind das Herz der Werkzeugmaschine“, betont Sung abschließend. „Und wir bieten eine umfassende Überwachung aller Komponenten im Zeichen von Industrie 4.0.“
Etwa hundert Meter weiter südlich liegt das Firmengelände der Hiwin Mikrosystem Corp., deren President Kou-I Szou in der Eingangshalle die Begrüßung in akzentfreiem Deutsch zelebriert. Stolz präsentiert er die Neuheiten des Mikrosystem-Bereichs von Hiwin. In den Reinräumen werden beispielsweise Linearmotoren, die sich in Werkzeugmaschinen von Emag oder etwa DMG Mori finden, gefertigt. Selbstverständlich alles unter Industrie 4.0-Aspekten entwickelt, wie vom Firmenchef zu vernehmen ist.
Gleich über die Straße führt der nächste Besuch in Taichung zum Werkzeugmaschinenhersteller FFG Feeler. Andy Hung, Sales Manager bei Feeler, erklärt, dass FFG mit seinen Prozesslösungen im Bereich Automotive die Nr. 1 weltweit ist. Bei Aerospace ist FFG heute ebenfalls zur Weltspitze auf Platz 2 vorgerückt. Beim Thema Smart Machinery hat das Unternehmen die Weichen schon lange gestellt und arbeitet mit Siemens Taiwan und Hiwin an gemeinsamen Lösungen für automatisierte Fertigungsprozesse.
Meine Meinung
Auf Augenhöhe
Beim Thema Smart Machinery haben die Werkzeugmaschinenhersteller aus Taiwan sehr viel Entwicklungspotenzial investiert und können heute mit praxistauglichen Lösungen punkten. Bei genauem Hinsehen finden sich zahlreiche Parallelen zu den Industrie-4.0-Lösungen der deutschen Maschinenhersteller. Es wirkt aber nicht "abgekupfert", sondern jede Lösung hat ihre eigene Entwicklungshistorie. Ich würde sagen, dass Taiwan sich mittlerweile auf Augenhöhe mit Deutschland befindet. Jürgen Gutmayr
Handgeschabte Führungen
Der nächste Stop führt zur Goodway Machine Corp. Der Werkzeugmaschinenhersteller hat sich seit der Gründung im Jahr 1995 den Drehmaschinen verschrieben. 100 bis 120 Maschinen verlassen pro Monat die Fertigung in Taichung.
Neu im Portfolio sind Schleifmaschinen. Bei der Herstellung hat Präzision höchste Priorität – Goodway verfügt nach Aussage von Rebecca Hsieh, Vice President Sales, über das größte Team für handgeschabte Führungen in Taiwan. Besonders stolz ist man auf den jüngsten Coup: Goodway hat den Sprung in die Oberliga der Schweizer Uhrenhersteller geschafft. Omega setzt seit vorigem Jahr zur Uhrengehäusefertigung auf mehrere SW 20 von Goodway. Aber auch in Deutschland ist Goodway kein Unbekannter: Ronal verwendet für die Fertigung von Alufelgen die Maschinen aus Taichung.
Nicht ohne Grund genießt Goodway technologisch weltweit einen guten Ruf: Fünf Prozent der Umsatzrendite fließen in Forschung & Entwicklung. So auch in Smart Machinery. Mit dem G.Linc 350 hat das Team um Joe Chen, Director Electrical Development bei Goodway, ein Display entwickelt, auf dem nicht nur alle Maschineninformationen abruf- und darstellbar sind, sondern auch wichtige Daten der Produktionsprozesse eingesehen werden können.
Weiter führt die Tour nach Chiayi zum Werkzeugmaschinenhersteller Femco. Das Unternehmen produziert CNC-Maschinen für die Automobilindustrie respektive Zulieferer, die Aluminiumfelgen herstellen. Unter dem Motto "Smart Wheeler Automation" hat Femco zusammen mit einer Universität eine Lösung entwickelt, mit der keine zusätzlichen Inspektionen mehr notwendig sind. Dabei werden in der Femco-Cloud alle notwendigen Daten zu den Messungen hinterlegt. Mit dem Automatic-Virtual-Measurement-System lassen sich bis zu 40 Prozent Kosten einsparen.
Ausgeklügelte Integration
Auch der Spritzgießmaschinenhersteller FCS hat sich dem Automotive-Bereich verschrieben. Durch eine ausgeklügelte Integration von Industrie 4.0-Lösungen in alle Spritzgießprozesse hat das Unternehmen das Ohr am Markt. "Good melt – good Parts", meint Neilson Su, Area Manager bei FCS. Konkret meint er damit, dass die Kunden einen stabilen Prozess fordern. Mit kontinuierlichen Messungen der Kavität und etwa einer Gut-Teile-Überwachung kann FCS bei den Anwendern punkten. Ähnlich stellt sich die Situation bei den weiteren Besuchen beim Werkzeugmaschinenhersteller Tongtai, dem Roboterhersteller Techman Robot und dem Pressenhersteller Seyi dar.
Fazit: Das Thema Smart Maschinery wird tagtäglich in den Unternehmen in Taiwan gelebt und entsprechend umgesetzt. Industrie 4.0 ist auf der kleinen Insel also kein Fremdwort, sondern bereits gelebte Technologie auf einem sehr hohen Niveau. nh
Auf einen Blick
Kooperation mit deutschen Anbietern
Um den Ausbau der Maschinenbaubranche weiter voranzutreiben, setzt Taiwan vor allem auf die Zusammenarbeit mit deutschen Anbietern, die von dem hervorragenden Ruf der Marke "Made in Germany" profitieren. So unterschrieb Bosch Rexroth bereits 2016 eine Absichtserklärung für eine Kooperation in den Bereichen Industrie 4.0 und Smart Machinery mit dem aktuell größten taiwanischen Investor in Deutschland, der Fair Friend Group, kurz FFG. Siemens Taiwan unterschrieb 2017 unter anderem im Rahmen des zweiten deutsch-taiwanischen Smart Machinery Forums auf der EMO in Hannover eine Absichtserklärung mit FFG und arbeitet des Weiteren mit dem taiwanischen Roboterhersteller Hiwin an einer gemeinsamen Lösung für automatisierte Fertigungsprozesse in Taichung.