Thomas Bader, Geschäftsführer des Hightech-Schleifmaschinenherstellers Haas, erklärt: "Zukünftig lassen sich Knieimplantate im 5-Achs-Finish-Verfahren in einer Aufspannung mechanisch bearbeiten.“ Was sich hinter dieser Aussage und der smarten Bescheidenheit von Bader verbirgt, lohnt einer näheren Betrachtung. Denn die neue Verfahrenstechnik wird die Serienproduktion von Knieimplantaten vervollkommnen und zu explizit präziseren Ergebnissen führen.
Mit dem demographischen Wandel in unserer Gesellschaft steigt weltweit der Bedarf orthopädisch notwendiger Knieoperationen. Nur Implantate mit höchster Genauigkeit und Oberflächenqualität können später den Oberflächenverschleiß und damit das Abtragen von Materialpartikeln maßgeblich verringern. Nach dem gegenwärtigen Stand der Technik kann die komplexe Geometrie eines Knieimplantats nicht in einer wirtschaftlich effizienten Prozessfolge gefertigt werden. So erfolgt das notwendige Finish der sogenannten Box beziehungsweise planparallelen Seitenwände am Knieimplantat in Handarbeit und damit in unzureichender, nicht reproduzierbarer Qualität. Zeit für einen Lösungsansatz, der auf die Endbearbeitung per Hand komplett verzichtet.
Kooperationsprojekt
Genau hier setzt das Kooperationsprojekt der Haas Schleifmaschinen GmbH mit der Hochschule Magdeburg-Stendal an. Unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Harald Goldau, Experte für Finish-Bearbeitung von Funktionsflächen, und der F&E-Abteilung von Haas haben sich beide Forschungspartner ein gemeinsames Ziel gesetzt: Alle Produktionsschritte vom Fräsen über das Präzisionsschleifen bis hin zum Oszillations-Finishen in einer Aufspannung durchzuführen. Im Fokus steht dabei die maschinelle Bearbeitung der schwer zugänglichen konvexen Elemente und der planparallelen Seitenwände des Implantats in Endbearbeitungsqualität. Das komplett gefertigte Knieimplantat wird anschließend nur noch gleitgeschliffen und poliert. Die zukünftige Komplettbearbeitung des Werkstücks führt nicht nur zu einer signifikanten Verkürzung des Produktionsprozesses und glänzt durch seine Wirtschaftlichkeit, sondern überzeugt auch durch eine bisher unerreichte Maß- und Formqualität. Das kraftgeregelte Finishen erhöht die Planparallelität der Seitenwände um ein Vielfaches. Die neue Maß- und Formqualität verbessert die Funktion des künstlichen Kniegelenks hinsichtlich Belastbarkeit, Lebensdauer und Verschleiß.
Definierte Schliffstrukturen
Die durchgängige mechanische Oberflächenfeinstbearbeitung kann definierte Schliffstrukturen im Mikro- und Makrobereich erzeugen, wodurch das tribologische Schmierverhalten des Implantatsystems gezielt beeinflusst werden kann. Eine Verbesserung der tribologischen Eigenschaften bietet neue Möglichkeiten und zahlreiche Vorteile. Dazu zählen unter anderem: eine optimierte Benetzung der Gelenkflüssigkeit, Reibungsminimierung der Laufflächen, Verringerung der Temperaturentwicklung im Gelenk, optimiertes Einlaufverhalten sowie Minimierung der Abtragprozesse von Partikeln. Das neue Produktionsverfahren führt zu hochpräzisen, reproduzierbaren Ergebnissen. Jedes Knieimplantat erhält eine komplett zurück verfolgbare Historie, mit allen Prozess- und Messdaten aus seiner spezifischen Fertigung.
Hochbelastbare Gleitlager im technischen Bereich werden schon seit langer Zeit nicht mehr von Hand bearbeitet. Die komplexe Geometrie eines Knieimplantats und die besonderen Erfordernisse in der Medizintechnik haben nach bisherigem Stand der Technik eine Komplettbearbeitung des Werkstücks verhindert. Gerade für die schwer zugänglichen innenliegenden Flächen des Implantats gab es bisher keine befriedigendere Lösung als das Nachbearbeiten per Hand. Die Kinematik der 5-Achs-Schleifmaschine Multigrind CB ist in der Lage, die schwer zugängliche Box des Werkstücks präzise anzufahren. Mit einem speziell für diese Anforderung entwickelten oszillierenden Honstein lassen sich definierte Konturen im Mikromillimeterbereich gezielt bearbeiten. Ohne Selbstschärfung des Werkzeugs im Prozess ließe sich eine Oberflächenrauheit in Läppqualität (gemittelte Rauhtiefe:
Rz < 0,1 µm) nicht realisieren.
Thomas Bader, Geschäftsführer der Haas Schleifmaschinen GmbH: "In der Medizintechnik ist die Erwartungshaltung an die Innovationskraft des Marktführers natürlich sehr groß. Eigentlich müssen wir uns bei unseren Kunden dafür bedanken, denn viele Spitzenleistungen wären sonst gar nicht entwickelt worden."
Optimierte Bearbeitung
Die Weg-Zeit-Kraft optimierte Bearbeitung wird über die Maschinensoftware Multigrind Horizon mittels Kraftsensoren gesteuert, um die gewünschten Maß-, Form- und Oberflächenkennwerte zu erzeugen. Dazu musste erst eine industriell praktikable und wirtschaftliche Lösung zur Integration der Kraftsensorik entwickelt werden. Letztendlich wird der gesamte Prozessablauf in einer anwenderfreundlichen Steuerungsfolge parametriert. Jährlich werden auf Haas Multigrind CA und Multigrind CB Schleifmaschinen rund 2,4 Mio. Knie-Endoprothesen hergestellt. Das macht die Haas Schleifmaschinen GmbH mit großem Abstand zum Marktführer. Das kompakte 5-Achs-Schleifzentrum der Multigrind- Baureihe verfügt über alle technischen Feinheiten für die präzise Bearbeitung von Knieimplantaten. Integrierte Messtechnik, bahngesteuertes Präzisionsabrichten, weitreichende Automatisierung und zahlreiche Haas-Spezialanwendungen machen diese beiden Hightech-Schleifmaschinen zur Referenz für professionelles Schleifen in der Medizintechnik. In der großen Multigrind CB können sogar zwei Knieimplantate in Doppelaufspannung, und damit im
parallelen Betrieb, gefertigt werden. Zukünftig kann sowohl die Multigrind CA als auch die CB mit der neu entwickelten Kraftmesstechnik ausgerüstet werden. Die integrierte Kraftsensorik ermöglicht erstmals die mechanische Finishing-Bearbeitung von Knieimplantaten mit doppelt oszillierenden Honsteinen.
Wirtschaftlicher Vorteil
Der wirtschaftliche Vorteil lässt sich leicht rechnen: Fräsen – Schleifen – Oszillations-Finishen geschieht ohne Umspannen und ohne die zeitintensive Nachbearbeitung per Hand. Das führt zu weniger Rüstzeit. Es entstehen keine unnötigen Liegezeiten, und auf das Auswaschen zwischen den einzelnen Produktionsschritten kann verzichtet werden. Die Investition in eine Multigrind-Schleifmaschine wird sich in der Medizintechnik entsprechend schnell rechnen. rso